arbeistsmoral

texte zu arbeit und muße




BÜRGER, SCHONT EURE ANLAGEN

Arbeit läßt sich schlecht vermeiden,
und sie ist der Mühe Preis.
Jeder muß sich mal entscheiden.
Arbeit zeugt noch nicht von Fleiß.

Arbeit muß es quasi geben.
Denn der Mensch besteht aus Bauch.
Arbeit ist das halbe Leben,
und die andre Hälfte auch.

Seht euch vor, bevor ihr schuftet!
Zieht euch keinen Splitter ein.
Wer behauptet, daß Schweiß duftet,
ist (ganz objektiv) ein Schwein.

Zählt die Arbeit zu den Strafen!
Wer nichts braucht, braucht nichts zu tun.
Legt euch mit den Hühnern schlafen.
Wenn es geht: pro Mann ein Huhn.

Manche geben keine Ruhe,
und sie schuften voller Wut.
Doch ihr Tun ist nur Getue,
und es kleidet sie nicht gut.

Laßt euch auf den Sofas treiben!
Gut geträumt ist halb gelacht.
Hände sind zum Händereiben.
Sprecht schon morgens: "Gute Nacht".

Laßt die Wecker ruhig rasseln!
Zeigt dem Krach das Hinterteil.
Laßt die Moralisten quasseln.
Bietet euch nicht täglich feil.

Wozu macht ihr Karriere?
Ist die Erde denn kein Stern?
Tut, als ob stets Sonntag wäre,
denn er ist der Tag des Herrn.

Vieles tun heißt vieles leiden.
Lebt, so gut es geht, von Luft.
Arbeit läßt sich schlecht vermeiden, -
doch wer schuftet ist ein Schuft!

Kästner, Erich (1899 - 1974)




URTEILSBEGRÜNDUNG

Die Voraussetzungen des Müßiggangs erfüllt der Lebenswandel desjenigen, der seine Tage mit keinerlei Tätigkeit ausfüllt, die - unter welchen Gesichtspunkten auch immer - als noch irgendwie sinnvoll angesehen werden könnte.
Oberlandesgericht Düsseldorf 1962






WAS IST DAS KOSTBARE IM LEBEN
Die wenigen Freunde hat es gegeben
Den Glanz der Sonne einen Strahl vom Mond.
Aber hat es sich dafür wirklich gelohnt?

Wir haben großzügig gespendet
Niemandes Eigentum entwendet
Die Natur haben wir stets geschont.
Aber hat es sich dafür wirklich gelohnt?

Die Reben haben wir zwar genossen
Wir waren auch immer reichlich begossen
In eignen vier Wänden haben wir gewohnt.
Aber hat es sich dafür wirklich gelohnt?

Geld hatten wir wie Heu
Unsre Frauen waren immer treu
Der Chef hat uns belohnt.
Aber hat es sich dafür wirklich gelohnt?

Die Kinder haben uns stolz gemacht
Unser Liebesfeuer ständig entfacht
Wir haben getochtert und gesohnt.
Aber hat es sich dafür wirklich gelohnt?

Wir waren berühmt auf der ganzen Welt
Haben erfolgreich Romane erzählt
Sogar dieses Gedicht wurde vertont.
Aber hat es sich dafür wirklich gelohnt?

Felix Quadflieg und Sophie Warning 1998



kennen Sie dieses SCHÖNE land mit seinen tälern und hügeln?
es wird in der ferne von schönen bergen begrenzt. es hat einen horizont, was nicht viele länder haben.
kennen Sie die wiesen, äcker und felder dieses landes? kennen Sie seine friedlichen häuser und die friedlichen menschen darinnen?
mitten in dieses schöne land hinein haben gute menschen eine fabrik gebaut. geduckt bildet ihr alu-welldach einen schönen kontrast zu den laub- und nadelwäldern ringsum. die fabrik duckt sich in die landschaft. obwohl sie keinen grund hat sich zu ducken.
sie könnte ganz aufrecht stehen.
wie gut, daß sie hier steht, wo es schön ist und nicht anderswo, wo es unschön ist.
die fabrik sieht aus, als ob sie ein teil dieser schönen landschaft wäre.
sie sieht aus, als ob sie hier gewachsen wäre, aber nein! wenn man sie näher anschaut, sieht man es: gute menschen haben sie errichtet, von nichts wird schließlich nichts.
und gute menschen gehen in ihr ein und aus. anschließend ergießen sie sich in die landschaft, als ob diese ihnen gehören würde.
die fabrik und das darunterliegende grundstück gehören dem besitzer, der ein konzern ist.
die fabrik freut sich trotzdem, wenn frohe menschen sich in sie ergies-sen, weil solche mehr leisten als unfrohe.
die frauen, die hier arbeiten, gehören nicht dem fabrikbesitzer.
die frauen, die hier arbeiten, gehören ganz ihren familien.
nur das gebäude gehört dem konzern. so sind alle zufrieden.
die vielen fenster blitzen und blinken wie die vielen fahrräder und kleinautos draußen. die fenster sind von frauen geputzt worden, die autos meistens von männern.
alle leute, die zu diesem ort gekommen sind, sind frauen.
sie nähen. sie nähen mieder, büstenhalter, manchmal auch korsetts und höschen.
oft heiraten diese frauen oder sie gehen sonstwie zugrunde. solange sie aber nähen, nähen sie. oft schweift ihr blick hinaus zu einem vogel, einer biene oder einem grashalm.
sie können manchmal die natur draußen besser genießen und verstehen als ein mann.
eine maschine macht immer eine naht. es wird ihr nicht langweilig dabei. sie erfüllt dort ihre pflicht, wohin sie gestellt ist.
jede maschine wird von einer angelernten näherin bedient. es wird der näherin nicht langweilig dabei. auch sie erfüllt eine pflicht.
sie darf dabei sitzen. sie hat viel verantwortung, aber keinen überblick und keinen weitblick. aber meistens einen haushalt.
manchmal am abend fahren die fahrräder ihre besitzerinnen nach hause. heim. die heime stehen in derselben schönen landschaft.
hier gedeiht zufriedenheit, das sieht man.
wen die landschaft, die kinder und der mann, nicht zufrieden machen kann, den macht die arbeit vollauf zufrieden.
doch unsere geschichte beginnt ganz woanders: in der großstadt.
dort steht eine zweigstelle der fabrik, oder besser, dort steht die hauptstelle der fabrik und jene stelle im voralpengebiet ist die zweigstelle.
auch hier nähen frauen, was ihnen liegt.
sie nähen nicht, was ihnen liegt, sondern das nähen an sich liegt den frauen schon im blut.
sie müssen dieses blut nur noch aus sich herauslassen.
hier handelt es sich um eine ruhige weibliche arbeit.
viele frauen nähen aus halbem herzen, die andere herzenshälfte nimmt ihre familie ein. manche frauen nähen aus ganzem herzen, das sind nicht die allerbesten, die das tun.
in der städtischen insel der ruhe beginnt unsere geschichte, die bald wieder zu ende ist.
wenn einer ein schicksal erlebt, dann nicht hier.
wenn einer ein schicksal hat, dann ist es ein mann, wenn einer ein schicksal bekommt, dann ist es eine frau.
leider geht hier das leben an einem vorbei, nur die arbeit bleibt da. manchmal versucht eine der frauen, sich dem vorbeigehenden leben anzuschließen und ein wenig zu plaudern.
leider fährt dann das leben oft mit dem auto davon, zu schnell fürs fahrrad. auf wiedersehn!

Jelinek, Elfriede (1946)
aus: die liebhaberinnen




falsch

hier tut kein weg sein
und ich tu ihn auch nicht suchen
ich tu was ich tu was ich tun müssen tu
immer sein da die die sagen
das du müssen tun und das du müssen tun
und ich sein das was da ja sagen tut
ja ich immer tu ja sagen
und dann ich mir sagen daß falsch
war das jasagen
ja
ganz falsch

jandl, ernst (1925 - 2000)




FEIERABEND

SIE Hermann ...
ER Ja ...
SIE Was machst du da?
ER Nichts ...
SIE Nichts? Wieso nichts?
ER Ich mache nichts ...
SIE Gar nichts?
ER Nein ...
Pause)
SIE Überhaupt nichts?
ER Nein ... Ich sitze hier ...
SIE Du sitzt da?
ER Ja ...
SIE Aber irgendwas machst du doch?
ER Nein ...
(Pause)
SIE Denkst du irgendwas?
ER Nichts Besonderes ...
SIE Es könnte ja nicht schaden, wenn du mal etwas spazierengingest
ER Nein-nein ...
SIE Ich bringe dir deinen Mantel ...
ER Nein danke ...
SIE Aber es ist zu kalt ohne Mantel ...
ER Ich gehe ja nicht spazieren ...
SIE Aber eben wolltest du doch noch ...
ER Nein, du wolltest, daß ich spazierengehe ...
SIE Ich? Mir ist es doch völlig egal, ob du spazierengehst ...
ER Gut ...
SIE Ich meine nur, es könnte dir nicht schaden, wenn du mal
spazierengehen würdest ...
ER Nein, schaden könnte es nicht ...
SIE Also was willst du denn nun?
ER Ich möchte hier sitzen ...
SIE Du kannst einen ja wahnsinnig machen!
ER Ach ...
SIE Erst willst du spazierengehen ... dann wieder nicht ... dann soll
ich deinen Mantel holen ... dann wieder nicht ... was denn nun?
ER Ich möchte hier sitzen ...
SIE Und jetzt möchtest du plötzlich da sitzen ...
ER Gar nicht plötzlich ... ich wollte immer nur hier sitzen ... und
mich entspannen ...
SIE Wenn du wirklich entspannen wolltest, würdest du nicht dauernd
auf mich einreden ...
ER Ich sag ja nichts mehr ...
(Pause)
SIE Jetzt hättest du doch mal Zeit, irgendwas zu tun, was dir Spaß
macht ...
ER Ja ...
SIE Liest du was?
ER Im Moment nicht ...
SIE Dann lies doch mal was ...
ER Nachher, nachher vielleicht ...
SIE Hol dir doch die Illustrierten ...
ER Ich möchte erst noch etwas hier sitzen ...
SIE Soll ich sie dir holen?
ER Nein-nein, vielen Dank ...
SIE Will der Herr sich auch noch bedienen lassen, was?
ER Nein, wirklich nicht ...
SIE Ich renne den ganzen Tag hin und her ... Du könntest doch wohl
einmal aufstehen und dir die Illustrierten holen ...
ER Ich möchte jetzt nicht lesen ...
SIE Dann quengle doch nicht so rum ...
ER (schweigt)
SIE Hermann!
ER (schweigt)
SIE Bist du taub?
ER Nein-nein ...
SIE Du tust eben nicht, was dir Spaß macht ... statt dessen sitzt du da!
ER Ich sitze hier, weil es mir Spaß macht ...
SIE Sei doch nicht gleich so aggressiv!
ER Ich bin doch nicht aggressiv ...
SIE Warum schreist du mich dann so an?
ER (schreit) ... Ich schreie dich nicht an!!

LORIOT (1923-2011)




FALSCHSCHREIBUNG

Pummerer, aus purer Freundlichkeit,
Fragt auf der Straße die Leute oft nach der Zeit,
Auch nach dem Datum oder nach dem Weg
Und verschafft ihnen so Überlegenheit und Privileg,
Sagt zu dem Vorsitzenden des Geschichtsvereins,
Landgraf Karl sei 1602 gestorben (statt 1601),
Oder schreibt beispielsweise das Wort 'Relieff'
In einem Brief an Hauptlehrer Vogt mit Doppel-f!
(Er verschafft so allen, wohlwollend und beflissen,
Die tiefe Befriedigung, es besser zu wissen.)

Kühner, Otto Heinrich (1921 - 1996)




IMMER

Immer einer behender als du

Du kriechst
Er geht
Du gehst
Er läuft
Du läufst
er fliegt:

Einer immer noch behender.

Immer einer begabter als du

Du liest
Er lernt
Du lernst
Er forscht
Du forschst
Er findet:

Einer immer noch begabter.

Immer einer berühmter als du

Du stehst in der Zeitung
Er steht im Lexikon
Du stehst im Lexikon
Er steht in den Annalen
Du stehst in den Annalen
Er steht auf dem Sockel:

Einer immer noch berühmter.

Immer einer betuchter als du

Du wirst besprochen
Er wird gelesen

Du wirst gelesen
Er wird verschlungen
Du wirst geschätzt
Er wird gekauft:

Einer immer noch betuchter.

Immer einer beliebter als du

Du wirst gelobt
Er wird geliebt
Du wirst geehrt
Er wird verehrt
Dir liegt man zu Füßen
Ihn trägt man auf Händen:

Einer immer noch beliebter.

Immer einer besser als du

Du kränkelst
Er liegt danieder
Du stirbst
Er verscheidet
Du bist gerichtet
Er ist gerettet:

Einer immer noch besser
Immer
Immer
Immer.


Gernhardt, Robert (1937 - 2006)




LIED DER ARBEIT

Stimmt an das Lied der hohen Braut,
die schon dem Menschen angetraut,
eh er selbst Mensch ward noch.
Was sein ist auf dem Erdenrund,
entsprang aus diesem treuen Bund.
|: die Arbeit hoch! :|

Als er vertiert noch, scheu und wild,
durch schreckenvolles Urgefield
und finstre Wälder kroch,
wer gab dem Arm die erste Wehr?
Die Arbeit war's noch roh wie er.
|: die Arbeit hoch! :|

Als später der Familie Herd
sich zur Gemeind', zur Stadt vermehrt,
wer unter Sklavenjoch
begann den Bau der ersten Stadt?
Das ist der Arbeit stolze Tat.
|: die Arbeit hoch! :|

Sie ist's, die Meere überwand,
die alle Elemente spannt
ins harte Eisenjoch.
Doch ihre Mutter war die Not,
vergeßt nicht, mündig ihr Gebot!
|: die Arbeit hoch! :|

Die Pyramide Cheops zeugt,
welch drückend Joch sie einst gebeugt,
die Arbeit brach es doch.
Drum hofft des Kapitales Joch,
die freie Arbeit bricht es noch.
|: die Arbeit hoch! :|

Und wie einst Gallilei rief,
als rings die Welt im Irrtum schlief:
"Und sie bewegt sich doch!"
So ruft: "Die Arbeit sie erhält,
die Arbeit, sie bewegt die Welt!"
|: die Arbeit hoch! :|


Zapf, Josef

(bis heute die Parteitagshymne der SPÖ)



Du brauchst einen Psychiater. Du brauchst ein neues Bett.
Du mußt mal ins Theater. Du mußt mal aufs Klosett.
So für den Hausgebrauch. Und Lenin brauchst du auch.
Zapperlot und Firlefanz, schizophren und Eiertanz.
Du brauchst jetzt was fürs Herz. Du brauchst was für dein Glück.
Die Frau braucht einen Nerz. Und du brauchst einen Tick.
Ihr braucht jetzt neue Möbel. Du brauchst einen Verein.
Gehörst doch nicht zum Pöbel.
Nein, ganz bestimmt nicht, nein. Drum brauchst du einen Titel.
Ein Ehrenamt dazu. Kauf dir doch einen Orden. Kauf dir doch deine Ruh`.
Du brauchst jetzt deine Ruhe. Du brauchst jetzt Bio-Kost.
Du brauchst jetzt frische Zellen. Von wegen Schüttelfrost.
Brauchst neue Haartinkturen. Brauchst Antifaltenspray.
Brauchst einige Amouren. Und dann nach Übersee.
Acht Tage mal im Flugzeug. Acht Tage mal im Wald.
Acht Tage mal am Wasser. Acht Tage mal Asphalt.
Drum brauchst du mehr Gehalt.
Du brauchst ein Telefon. Du brauchst ne neue Zeitung. Ne neue Religion.
Ne neue Zigarette. Ne Kur für deinen Bauch.
Ne neue Schmerztablette. Und Jesus brauchst du auch.
Du brauchst ein neues Leben. Du brauchst nen neuen Tod.
Das tot sein ist ja nicht so schwer. Denn tot ist man ja heut nicht mehr.
Jetzt geht's erst richtig los. Im Saus und auch im Braus.
Nach Griechenland und Portugal. Nach irgendwo und überall.
Marokko und Tunesien. Als wäre nichts gewesen.
Und dann ins Krankenhaus. Du brauchst und brauchst und brauchst.
Und dann kommt dieser Augenblick. Wo dir dein Schädel raucht.
Und sich dein Herz verstaucht. Weil man Dich nicht mehr braucht.
Zu alt. Zu alt. Zu alt. Und außerdem:
Wer war der Mann? Wer war der Mann? Und bald. Und bald. Und bald.
Kommt schon die nächste Generation: Von vorne wieder dran:
Du brauchst jetzt Holzpantinen. Du brauchst jetzt weiße Jeans.
Du brauchst jetzt dufte Bienen. Du brauchst jetzt New Orleans.
Du brauchst ne Diskussion. Du brauchst jetzt was zu trinken.
Du brauchst doch nur zu winken. Du brauchst ein Diktaphon.
Wir bringen dir´s ins Haus. Kauf dir noch einen Grill.
Du mußt mal richtig raus. Du brauchst jetzt Chlorophyll.
Kauf dir doch eine Mühle. Kauf dir ein Bauernhaus.
Kauf dir doch Wiener Stühle. Dir fallen die Zähne aus.
Zapperlot und Firlefanz, schizophren und Eiertanz.
Dir fallen die Haare aus. Du brauchst jetzt ein Toupet
Du mußt mal in den Schnee. Du mußt auch mal nach Rom und Wien.
So kauf dir doch ein Trampolin. Du brauchst ein neues Leben.
Du brauchst nen neuen Tod. Du mußt mal was erleben.
Sei doch kein Idiot. Sei doch kein Spielverderber.
Der Schornstein muß doch rauchen. Sieh dir die andern an.
Was die so alles brauchen.
In Wirklichkeit, in Wirklichkeit braucht man das alles nicht.
Moral von der Geschicht: Brauchst nur nicht auf die Welt zu kommen.
Mehr braucht man eigentlich nicht.

Hüsch, Hanns-Dieter (1925 - 2005)




EIN GEGLÜCKTER AUFTAKT

Wieder einmal war die Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung Stätte einer fruchtbaren Begegnung. Nachdem Frankfurter Dichter in einer Rüsselsheimer Fabrikhalle aus neueren Arbeiten gelesen hatten, beschloß der Betriebsrat des Werks, den Literaten zum Dank einmal etwas vorzuarbeiten.
Drei Arbeiter stellten sich im festlich geschmückten Tagungsraum der Akademie vor. Den Anfang machte der Dreher Karl Henne, dessen präzise Arbeit an der Drehbank die versammelten Dichter sichtlich beeindruckte. Sein Werk, ein Messingknauf mit abschraubbarer Tülle, löste dann auch spontanen Beifall aus.
Der Schweißer Karl Boltmann, der anschließend einen handgezogenen Achsschenkelbolzen herstellte, erregte anfangs ebenfalls reges Interesse, das allerdings im Verlauf der drei Stunden andauernden Arbeit sichtlich abflaute.
Unter diesen Umständen hatte es der Monteur Willy Nemenz schwer. Seine exakt vorgeführte Montage eines Viertakt-Motors stieß auf weitgehendes Unverständnis, das sich sogar in zaghaften Zwischenrufen äußerte.
Interessant wurde es dann wieder bei der anschließenden Diskussion. Nach anfänglicher Zurückhaltung brach der Dichter Kurt Mandl das Eis. Der erste Beitrag sei prima gewesen, erklärte er, unter einem Messingknauf könne er sich etwas vorstellen. Bei der Montage sei er allerdings nicht mehr mitgekommen. Ob denn die Maschinen von heute wirklich so kompliziert sein müßten, daß nur noch Spezialisten sie verstehen könnten?
Ein anregendes Streitgespräch folgte, das Betriebsrat Kornmayer mit den Worten beendete: "Eines steht fest: Die fortschreitende Technisierung aller Lebensbereiche hat auch vor den Fabriken nicht haltgemacht. Sie ist ebenfalls und gerade an den Maschinen nicht spurlos vorübergegangen - Sie als Dichter sollten diese Erkenntnis mit in Ihren Alltag hinübernehmen."
Akademie-Präsident Wendell äußerte sich in ähnlicher Richtung und dankte den Arbeitern für die frohen und nachdenklichen Stunden, die sie den Dichtern bereitet hatten. Beide Seiten beschlossen, die Kontakte weiter auszubauen. Schon im Frühjahr wollen Frankfurter Dichter Steigern auf der 800-Meter-Sohle der Zeche "Glückrunter" etwas vorlesen. Aus Steigerkreisen verlautet bereits jetzt, daß man diesen Schritt mit dem Bau eines Förderturmes im Garten des Frankfurter Goethe-Hauses beantworten wolle.

Gernhardt, Robert (1937 - 2006)




VON ZEITEN

sein das heuten tag sein es ein scheißen tag
sein das gestern tag sein es gewesen ein scheißen tag ebenfalz
kommen das morgen tag sein es werden ein scheißen tag ebenfalz
und so es sein aufbauen sich der scheißen woch
und aus dem scheißen woch und dem scheißen woch
so es sein aufbauen sich der scheißen april
und es sein anhängen sich der scheißen mai
und es sein anhängen sich der scheißen juni scheißen juli august
etten zetteren
so es sein aufbauen sich der scheißen jahr
und auf allen vieren der scheißen schalten jahr
und haben jeden der scheißen jahr darauf einen nummeron
neunzehnscheißhundertsiebenundsiebzigscheiß
scheißneunzehnhundertscheißachtundscheißsiebzigscheiß
so es sein aufbauen sich der scheißen leben
schrittenweizen hären von den geburten
und sein es doch wahrlich zun tot-scheißen

jandl, ernst (1925 - 2000)




KURT SCHMIDT, STATT EINER BALLADE

Der Mann, von dem im weiteren Verlauf
die Rede ist, hieß Schmidt (Kurt Schm., komplett).
Er stand, nur sonntags nicht, früh 6 Uhr auf
und ging allabendlich Punkt 8 zu Bett.

10 Stunden lag er stumm und ohne Blick.
4 Stunden brauchte er für Fahrt und Essen.
9 Stunden stand er in der Glasfabrik.
1 Stündchen blieb für höhere Interessen.

Nur sonn- und feiertags schlief er sich satt.
Danach rasierte er sich, bis es brannte.
Dann tanzte er. In Sälen vor der Stadt.
Und fremde Fräuleins wurden rasch Bekannte.

Am Montag fing die nächste Strophe an.
Und war doch immerzu dasselbe Lied!
Ein Jahr starb ab. Ein andres Jahr begann.
Und was auch kam, nie kam ein Unterschied.

Um diese Zeit war Schmidt noch gut verpackt.
Er träumte manchmal nachts von fremden Ländern.
Um diese Zeit hielt Schmidt noch halbwegs Takt.
Und dachte: Morgen kann sich alles ändern.

Da schnitt er sich den Daumen von der Hand.
Ein Fräulein Brand gebar ihm einen Sohn.
Das Kind ging ein. Trotz Pflege auf dem Land.
(Schmidt hatte 40 Mark als Wochenlohn.)

Die Zeit marschierte wie ein Grenadier.
In gleichem Schritt und Tritt. Und Schmidt lief mit.
Die Zeit verging. Und Schmidt verging mit ihr.
Er merkte eines Tages, daß er litt.

Er merkte, daß er nicht alleine stand.
Und daß er doch allein stand, bei Gefahren.
Und auf dem Globus, sah er, lag kein Land,
in dem die Schmidts nicht in der Mehrzahl waren.

So war's. Er hatte sich bis jetzt geirrt.
So war's, und es stand fest, daß es so blieb.
Und er begriff, daß es nie anders wird.
Und was er hoffte, rann ihm durch ein Sieb.

Der Mensch war auch bloß eine Art Gemüse,
das sich und dadurch andere ernährt.
Die Seele saß nicht in der Zirbeldrüse.
Falls sie vorhanden war, war sie nichts wert.

9 Stunden stand Schmidt schwitzend im Betrieb.
4 Stunden fuhr und aß er, müd und dumm.
10 Stunden lag er, ohne Blick und stumm.
Und in dem Stündchen, das ihm übrigblieb,
brachte er sich um.

Kästner, Erich (1899 - 1974)




DIE MAßNAHMEN

Die Faulen werden geschlachtet
die Welt wird fleißig
Die Häßlichen werden geschlachtet
die Welt wird schön
Die Narren werden geschlachtet
die Welt wird weise
Die Kranken werden geschlachtet
die Welt wird gesund
Die Traurigen werden geschlachtet
die Welt wird lustig
Die Alten werden geschlachtet
die Welt wird jung
Die Feinde werden geschlachtet
die Welt wird freundlich
Die Bösen werden geschlachtet
die Welt wird gut

Fried, Erich (1921 - 1988)




RUHESTAND

Ich weißet noch, als wäret gestern gewesen, wie unser Oppa endlich auf Rente is. Meine Zeit, watt hatter sich gefreut! Vorher hatter schon immer gesacht, noch drei Jahre, noch zwei Jahre, nochen halbes, noch diese Woche, bloß morgen noch! Noch ein einzigen Tach! Und dann isser hin, letzten Tach, nä, mitten Bus sechs Uhr zehn, wie immer, unser Omma hatten auch de Bütterkes geschmiert wie immer, un inne Firma hamsen dann geehrt, nä. Geehrt. Da gabet Sekt un Schnittchen un der Junior hat gesacht, datt gezz der schöne Ruhestand kommt un hamsen nochen Schaukelstuhl geschenkt, un unser Oppa sacht noch, watt sollich denn damit, gezz fängtatt Leben ers richtich an, gezz sitz ich donnich in son Schaukelstuhl rum! Wenn ihr gezz auf Schicht müßt, sachter, kann ich mich unter de Deck nomma rumdrehen un anne Matratze horchen, wenn ihr am Ackern seid, geh ich nachen Schrebergarten hin, wenn ihr hier Krach habt, weil nix klappt, sitz ich in Paak un lassen lieben Gott en guten Mann sein, un dann isser nach Hause un hamwer aunnoch schön gefeiert, ja, un dann warer pensioniert, nä, nach einundfuffzig Jahre Aabeit, mit vierzehn hatter angefang beide Ofenfirma da.
Ja, un ers warer selich: Rentner! Ha, watt schön! Jeden hattert erzählt, der et nich hören wollte. Un dann hattern Keller aufgeräumt, hattat Blumenbänksen reppariert, hatte Schuhe alle eima durchgeputzt, un dann fing unser Omma schon an, nä, Paul, sachtse, nu geh domma raus hier, ich kann mein Haushalt nich machen, wennze mir dauernd inne Quere sitzt, un eima saße bei uns inne Küche un wa am Heulen - Else, sachtse, ich haltatt nich aus, den ganzen Tach is der Mann zu Hause un kuckt mir auffe Finger, nie habbich gezz ma son Stündken bloß für mich, wie früher -
Ich hab mir unsern Oppa dann vorgeknöppt, hömma, Oppa, habbich gesacht, gezz biste doch auf Rente, datt hasse dir doch sowatt von gewünscht, nu mach aumma watt draus, du wollzattoch werweißwie genießen, un gezz sitzte immer nur de Omma uffe Pelle, datt gehtoch aunnich.
Da hatter mich angekuckt mit ein Blick, Sie, den vergeß ich nie - Else, sachter, datt verstehstu nich. Aber wie sollze auch, ich versteh et ja selber nich - datt ganze Leben habbich mich gefreut auffe Rente, un nu isse da un ich denk: watt sollich noch auffe Welt ohne Aabeit? Haushalt machte Omma alleine, wennich watt einkauf, isset falsch, immer kannich aunnich in Paak mitte ganzen alten Männer auffe Bank sitzen, watt sollich denn machen?
Ich sach Oppa! GENIESSEN! Kannze dattenn nich genießen?
Un wissense, watter sacht? Genießen, sachter, Else, datt ham wir ja nich gelernt. Wir ham bloß immer aabeiten gelernt. Genießen hamse uns donnich beigebracht. Un wie sollich datten gezz in Alter mitte kaputten Knochen aus einundfuffzich Jahre noch lernen, genießen...

Heidenreich, Elke (1943)

(für Hanns Dieter)



LIED VOM SACHZWANG

Die Dichter, die Denker - das wissen wir jetzt -,
die haben den Menschen total überschätzt.
Er hat nämlich nie eignen Willen besessen,
der Raum für Entscheidung war immer bemessen.
Es ist nicht Natur und nicht Gott und nicht Fatum,
es ist nicht Bestimmung, nicht Sternbild, nicht Datum,
es sind - und da gibt's bitte gar nichts zu lachen! -
es sind - schlicht und einfach -, es sind nur die Sachen.

Der Sachzwang ist schuld,
nur der Sachzwang ist schuld,
der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld.
Was immer wir machen,
uns zwingen die Sachen,
der Sachzwang, der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld.

Der Dreck ist 'ne Sache, die zwingt uns am meisten,
es muß ja die Dreckarbeit auch jemand leisten.
Drum muß man aus Zwang sich die Arbeiter werben,
die Türken, Kroaten, Afghanen und Serben.
Nun muß man aus Sachzwang die Leute entlohnen,
sie müssen - ein Sachzwang - auch irgendwo wohnen.
Man muß ihnen Sachen aus Zwang überlassen.
Draus folgert der Sachzwang, die Fremden zu hassen.

Der Sachzwang ist schuld,
nur der Sachzwang ist schuld,
der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld.
Ja, was soll denn gelingen,
wenn die Sachen uns zwingen?
Der Sachzwang, der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld.

Wir müssen aus Sachzwang - da hilft uns kein Weigern -,
aus Zwang diese Sache, die Rüstung heißt, steigern.
Drum muß man die Sache aus Zwang finanzieren,
da hilft nur eins: Waffen aus Zwang exportieren.
Zwar steckt ein gefährlicher Zwang in den Sachen,
der Zwang, daß die Sachen von Zeit zu Zeit krachen.
Und wenn sie die Erde aus Sachzwängen sprengen,
die Sache verlangt es mit furchtbaren Zwängen.

Der Sachzwang ist schuld,
nur der Sachzwang ist schuld,
der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld.
Die Sache ist zwanghaft,
und der Zwang, der ist krankhaft,
der Sachzwang, der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld.

Wie arm sind die Menschen in den Parlamenten,
so reich an Idealen, Ideen und Talenten.
Und doch! Viele Maßnahmen bergen Entsetzen.
Sie kennen den Sachzwang mit den Arbeitsplätzen.
Mehr Autos, mehr Straßen, da gibt's kein Entflieh'n!
Ein Sachzwang zum Sachzwang für mehr Energien.
Was herrscht, ist politische Sachstrategie,
was bleibt, ist die Farce einer Demokratie.

Der Sachzwang ist schuld,
nur der Sachzwang ist schuld,
der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld.
Diese furchtbare Enge
der sachlichen Zwänge! -
Der Sachzwang, der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld.

Schneyder, Werner (1937-2019)




LIED VOM KONSUMZWANG (1979)

Ein Wirtschaftspolizist nimmt eine bedrohliche Haltung an

Stehen Sie gefälligst stramm
vor dem Großversandprogramm
aus dem Hause "Schnick & Schnack"!
Hände an die Hosennaht,
Schlappschwanz von Konsumsoldat!
Aufräumen mit diesem Pack!
Die Verdauungsinspektion
liefert uns die Täter schon.
Hier wird strengstens kontrolliert.
Wer nicht nach Verordnung kauft,
frißt und scheißt und kotzt und sauft -
wird umgehend arretiert.

KZ
für den, der den Einkauf verweigert,
KZ
für den, der den Umsatz nicht steigert,
KZ - Konsumzwang!
KZ
für den, der kein Auto bewilligt,
KZ
für die, die den Zubau nicht billigt,
KZ - Konsumzwang!

Die neue Rechte
das ist die Werbe-SS.
Wir grüßen nur mehr mit:
"Heil Masse!"
Die neuen Maße,
das sind die Sterbe-PS.
Es gilt das Kommando:
"Verprasse!"

ZK
muß der, der sich etwas beschränkt hat,
ZK
muß der, der sich Stillstand geschenkt hat,
ZK - Zur Kasse!

KZ
für die, die mit Treibstoff sparen,
KZ
für die, die nicht pausenlos fahren,
KZ - Konsumzwang!
KZ
für die mit der Angst vor Hormonen,
KZ
für die, die sich kostenlos schonen,
KZ - Konsumzwang!


Die neue Rechte,
das ist die Zahlen-SS.
Wir lieben nur mehr das,
was Plus macht.
Die neue Rechte,
das ist die Strahlen-SS.
Wir bauen nur mehr das,
was Schluß macht.
ZK
mit uns, der Natur, den Gestirnen,
ZK
mit uns, denn es pocht in den Hirnen.
Zur Kasse!
Zur Masse!
Für jegliche Klasse
KZ - Konsumzwang!

Schneyder, Werner (1937-2019)




RBT MCHT DS LBN HRT.

Frhmrgns wnn dr Wckr bmmlt
schrckt dr Mnsch schn ncht mhr f.
nsttt r f dm Sf lmmt
nmmt d rbt hrn lf.
Wnn hstg r zr Mtr rnnt
- d Stchhr stcht hm n dn Kpf -
nd schn kn prdn mhr knnt
hlt ds Schcksl hm m Schpf.
S lßt hn stlprn, r lgt flch.
Schn qtschn Brmsn m hn hr.
N ltr Schr, n grssr Krch
dr Hngschlgn lbt ncht mhr.
S ht d Htz zr rbtsstll
n ns pfr prdzrt.
J s ght htztg schnll
dss nm stws pssrt.

Flx Qdflg



VERGESSENES WISSEN

"Nur in den zurückgebliebenen Ländern der Erde ist die Zunahme der Produktion noch ein wichtiges Ziel. Was in den fortgeschrittensten ökonomisch not tut, ist eine bessere Verteilung". Aus welchem Jahr stammt dieses Zitat?
Das Jahr ist nicht genau zu nennen, wohl aber die Lebenszeit des Autors, 1806 - 1873. Er heißt John Stuart Mill, war Engländer, der liberalen Wirtschaftsphilosophie zuzuordnen, also weder links noch grün, was Sie angesichts seines Todesjahres auch nicht angenommen hätten.
Warum zitieren? Handelt es sich doch um eine Binsenweisheit? Ebendeshalb. Da schreibt einer vor weit über 100 Jahren einen Satz, schlicht und gültig, und wenn wir ihn heute lesen, bleibt nur Scham. Depression. Und Wut.
In meiner Bibliothek finden sich viele wirtschaftswissenschaftliche Bücher, auch populär gemeinte. Ich habe viele von ihnen gelesen, verbissen oft, mich zwingend, diese Sprache begreifen zu wollen. Ich habe auch das eine oder andere, soweit es zu verstehen war, behalten. Aber einen Satz der oben angeführten Wahrheit, Schlichtheit und Hoffnung habe ich nicht in Erinnerung. Kann es sein, daß sich die ökonomische Gelehrsamkeit eher rückentwickelt hat? Hat sich der brillante Gedanke eines amerikanischen Publizisten, wonach wir uns zu Tode informieren, besonders auch auf die Ökonomie zu beziehen?
Was sagte er noch, der englische Wirtschaftsliberale?
Es sei nicht einzusehen, "daß Menschen, die bereits jetzt reicher sind, als man zu sein braucht, ihren Konsum verdoppeln sollen, mit keinem oder geringem Vergnügen zur Folge außer demjenigen, Wohlstand zu repräsentieren."
Aus dem Fenster sehe ich einen nächtlichen See. Aale werden elektrisch abgefischt. Aale, die in diesem See nichts verloren hatten, die eingesetzt wurden, sich aber als schlechte Geschäftspartner erwiesen, da sie die Brut der anderen Fische auffraßen. Die Manipulation der Natur schlug voll zurück. Dazu der Herr aus dem vorigen Jahrhundert:
"Es schafft nur geringe Befriedigung, eine Welt zu betrachten, in der nichts mehr der spontanen Aktivität der Natur überlassen bleibt; wo jeder Flecken Erde kultiviert wird..., jede nicht nutzbare Pflanze oder natürliche Wiese untergepflügt wird, sämtliche Vierbeiner oder Vögel, die nicht für menschliche Zwecke domestiziert werden können, als Nahrungsmittelrivalen ausgerottet werden... Wenn die Erde so viel von ihrer Lieblichkeit verlieren muß..., dann hoffe ich ernsthaft, daß man mit einem stationären Zustand zufrieden sein wird, lange bevor die Notwendigkeit dazu zwingt."
1806 - 1873. Noch Fragen?

Schneyder, Werner (1937-2019)




DER SCHÖNE 27. SEPTEMBER

Ich habe keine Zeitung gelesen.
Ich habe keiner Frau nachgesehen.
Ich habe den Briefkasten nicht geöffnet.
Ich habe keinem einen Guten Tag gewünscht.
Ich habe nicht in den Spiegel gesehen.
Ich habe mit keinem über alte Zeiten gesprochen und
mit keinem über neue Zeiten.
Ich habe nicht über mich nachgedacht.
Ich habe keine Zeile geschrieben.
Ich habe keinen Stein ins Rollen gebracht.

Brasch, Thomas (1945-2001)




WOCHENBREVIER

Am Montag fängt die Woche an.
Am Montag ruht der brave Mann,
das taten unsre Ahnen schon.
Wir halten streng auf Tradition.

Am Dienstag hält man mit sich Rat.
Man sammelt Mut und Kraft zur Tat.
Bevor man anfängt, eins, zwei, drei,
bums - ist der Dienstag schon vorbei.

Am Mittwoch faßt man den Entschluß:
Bestimmt, es soll, es wird, es muß,
mag kommen, was da kommen mag,
ab morgen früh am Donnerstag.

Am Donnerstag faßt man den Plan:
Von heute ab wird was getan.
Gedacht, getan, getan, gedacht.
Inzwischen ist es wieder Nacht.

Am Freitag geht von alters her
Was man auch anfängt, stets verquer.
Drum ruh dich aus und sei belehrt:
Wer gar nichts tut - macht nichts verkehrt.

Am Samstag ist das Wochen-End,
da wird ganz gründlich ausgepennt.
Heut anzufangen, lohnt sich nicht.
Die Ruhe ist des Bürgers Pflicht.

Am Sonntag möcht´ man so viel tun.
Am Sonntag muß man leider ruhn.
Zur Arbeit ist es nie zu spät.
O Kinder, wie die Zeit vergeht!

Endrikat, Fred (1890 - 1942)




LASST UNS WENIGER BETRIEBSAM SEIN

Heutzutage, da jeder, der sich nicht die Mißachtung der Welt zuziehen will, einen einträglichen Beruf ergreifen und den Sinn seines Lebens in seiner Arbeit finden muß, hat das Lob des Müßiggangs, die Versi-cherung, daß man zufrieden ist, wenn man sein Auskommen hat und es sonst vorzieht, sich einen guten Tag zu machen, völlig unberechtig-terweise einen Anstrich von Aufschneiderei und Großsprecherei. Tatsächlich aber hat der Müßiggang, der durchaus nicht mit dem Nichtstun identisch ist, sondern dadurch charakterisiert wird, daß man Dinge tut, die in den Augen der herrschenden Klassen keinerlei Sinn haben, ebensoviel Berechtigung wie die Betriebsamkeit.
Zugegebenermaßen ist die Existenz von Menschen, die es ablehnen, sich um einiger Groschen willen an einem Hindernisrennen zu beteili-gen, allen denen ein Dorn im Auge, die Anstrengungen dieser Art auf sich zu nehmen bereit sind. Ein anständiger Mensch entscheidet sich für eine Sache und führt sie dann entschlossen durch; es läßt sich verstehen, daß ihn - während er mühsam und angestrengt seinen Weg verfolgt - der Anblick jener ärgert, die am Straßenrande in kühlen Wiesen liegen, ein Tuch über der Stirn und eine Flasche Wein neben sich. Diogenes' Mißachtung traf Alexander an einer sehr empfindli-chen Stelle; es ist eine sehr schmerzliche Erfahrung für einen Men-schen, der sein ganzes Leben hindurch gearbeitet hat, wenn er am Ende feststellen muß, daß die Menschheit von seinen Bemühungen gar keine Notiz nimmt.
Ohne jeden Zweifel ist der Müßiggang ein sehr wichtiger Bestandteil der Erziehung. Obwohl es hier und dort jemanden gegeben haben soll, der die Schulzeit überstanden hat, ohne seinen Verstand einzubüßen, bezahlen die meisten Menschen ihr Schulgeld sehr teuer; sie haben vorzeitig ihr ganzes Pulver verschossen, und wenn das eigentliche Leben beginnt, sind sie bankrott.
Laßt die anderen ihr Gedächtnis mit dem Gerümpel toter Worte anfüllen - nur die Müßiggänger erlernen die wahre Kunst: ein Lied zu trällern, eine gute Zigarre zu rauchen und leicht und angenehm dahin zu plaudern. Viele, die ihre Lehrbücher rechtschaffen durchgeackert und gründliche Kenntnisse aufgespeichert haben, erweisen sich in allen angenehmeren Lagen des Lebens als trockene, gallige und unfreundliche Gesellen.

Stevenson, Robert Louis (1850 - 1994)



NACHTGESANG

badedas placentubex
tai-ginseng panteen
thermofax wipp dentofix
anti-svet palmin

mondamin elastofix
fewa fa feh vlot
seiblank presto caro lux
maggi pez blett pott

alka-seltzer seborin
mem pitrell grill-fix
tempo mampe aspirin
tampax atrix drix

hormocenta kukident
knorr pfaff tarr darmol
odorono chlorodont
fuß-frisch bac odol

mezzo-slabil wazzaba
abba dabba wabbaba
f-x k2r T 2
E = mc²

Jelinek, Henry (1946)




so ein trost

wer es nicht mehr ganz so gut kann
wer es nicht mehr so ganz kann
wer es nicht mehr so gut kann
wer es nicht mehr ganz kann
wer es nicht mehr gut kann
wer es nicht mehr so kann
wer es nicht mehr kann

für den tun es andere
ja für den tun es andere
für den tun es ja andere
für den tun es andere ja
für den tun es ja andere ja
ja für den tun es ja andere ja

dutzendfach
hundertfach
tausendfach
millionenfach
ja
millionenfach

so ein trost

jandl, ernst (1925 - 2000)




SCHWÄCHEAKTE

Pummerer meidet die sich selbst Bezwinger,
Die um Pokale und um Entschlüsse Ringer,
Die Pioniere, Schrittmacher und Wegbereiter,
Bahnbrecher, Gipfelstürmer usw.
Und verkehrt lieber mit Schwachen, Weichen,
Drittrangig-Mittelmäßigen, kurz, seinesgleichen.
Allesamt zarten und schwächlichen Körperbaus,
Üben sie sich - meist in Pummerers Gartenhaus -
Ohne Vorbilder und Maximen (also Autodidakten!)
Nicht in Kraft-, sondern in Schwächeakten,
Klein beizugeben, ihre Kräfte zu unterschätzen
Oder den Willen nicht in die Tat umzusetzen,
Und sind sich, ohne Ehrenschuld oder 'Du mußt!',
Der erhabenen Kleinheit der Stunde bewußt,
Fühlen sich auch, weil klein, viel allgemeiner,
Und einsam wie ein Großer ist von ihnen keiner.

Kühner, Otto Heinrich (1921 - 1996)




WIR ALLEIN

Wir allein können das Gold entwerten
indem wir uns nicht darum scheren
ob es fällt oder steigt
auf dem Markt.
Überall wo Gold ist
ist auch eine Kette, weißt du,
und wenn deine Kette
aus Gold ist
desto schlimmer
für dich.

Federn, Muscheln
und vom Meer geformte Steine
sind ebenso kostbar.

Das könnte unsere Revolution sein:
Was es im Überfluß gibt
ebenso zu lieben wie
das Rare.

Walker, Alice (1944)




DIE SONNE wärmt mir den Rücken
beim Bücken.
Doch wenn ich aufrecht stehe,
auch
den Bauch.

Ludwig Sasse



HERR, ICH HABE DIE GROßE BESCHÄFTIGUNG, MÜßIG ZU GEHEN;
ich habe eine ungemeine Fertigkeit im Nichtstun;
ich besitze eine ungeheure Ausdauer in der Faulheit.
Keine Schwiele schändet meine Hände,
der Boden hat noch keinen Tropfen von meiner Stirn getrunken,
ich bin noch Jungfrau in der Arbeit;
und wenn es mir nicht der Mühe zuviel wäre, würde ich mir die Mühe nehmen,
Ihnen diese Verdienste weitläufiger auseinanderzusetzen.

Büchner, Georg (1813-1837)
aus: Leonce und Lena



DER POET

Mein Leben lang war ich bequem und unbekümmert,
verabscheute Gewichtigkeit, tat nur was leicht und einfach.

Zwischen den tausend Wolken, abertausend Wassern,
da lebt in Seelenruhe ein Poet.
Tagsüber wandert er durch blaue Berge,
abends zurückgekehrt, ruht er am Fuß der Klippe.

Bin ich nicht um der Berge Wonnen zu beneiden,
in Muße wandernd und von niemand abhängig?
Der Sonne nachjagend, macht man sich nur kaputt,
ruhen erst die Gedanken, dann bleibt nichts zu tun.

Seit ich mich einst in die Berge zurückzog,
ernähr ich mich von seinen wilden Früchten.
Ein friedliches Leben, was braucht ich mich zu sorgen,
in dieser Welt nimmt alles seinen vorbestimmten Lauf.
Tage und Mode verströmen unaufhaltsam wie der Fluss,
unsere Lebenszeit - Funken von einem Feuerstein!
Die Welt zu ändern überlass ich euch-
ich sitze stillvergnügt zwischen den Klippen.

Es gibt so manchen Menschen sparsamer Natur,
doch Knickrigkeit entspricht nicht meiner Art.
Mein dünnes Kleid, vom vielen Tanzen durchgewetzt;
der Weinkrug leer, weil ich beim Singen gerne einen hebe.
Seht zu, dass ihr euch stets den Bauch vollschlagen könnt,
und rennt euch nicht eifrig die Beine ab!
Wenn euch erst mal das Unkraut durch den Schädel sprießt,
dann könntet ihr es bereuen.

Han-shan (7 oder 8. Jhd.)











MEIN TAGWERK

Mein Tagwerk: mit den Dorfkindern spielen.
Immer habe ich ein paar Stoffbälle dabei, in meinen Ärmeltaschen.
Zu viel anderem bin ich nicht nütze,
doch ich weiß mich zu erfreuen
am stillen Frieden des Frühlings.

Vermischt mit dem Wind
fällt der Schnee;
Vermischt mit dem Schnee
bläst der Wind.
Am Herd
strecke ich meine Füße aus,
verbummle meine Zeit,
eingeschlossen in dieser Hütte.

Ryokan