kleine jandl-ei



...er habe immer etwas zu sagen gehabt, und er
habe immer gewußt, daß man es so und so und so
sagen könne; und so habe er sich nie darum
mühen müssen, etwas zu sagen, wohl aber um die art
und weise dieses sagens. denn in dem, was man
zu sagen hat, gibt es keine alternative; aber für die
art und weise, es zu sagen, gibt es eine unbestimmte
zahl von möglichkeiten. es gibt dichter, die alles
mögliche sagen, und dies immer auf die gleiche
weise. solches zu tun habe ihn nie gereizt; denn
zu sagen gebe es schließlich nur eines; dieses aber
immer wieder, und auf immer neue weise.



fortschreitende räude
him hanfang war das wort hund das wort war bei
gott und gott war das wort hund das wort hist fleisch
geworden hund hat hunter huns gewohnt

him hanflang war das wort hund das wort war blei
flott hunt flott war das wort hund das wort hist fleisch
gewlorden hund hat hunter huns gewlohnt

schim schanflang war das wort schund das wort war blei
flott schund flott war das wort schund das wort schist
fleisch gewlorden schund schat schunter schuns gewlohnt

schim schanschlang schar das wort schlund schasch wort
schar schlei schlott schund flott war das wort schund
schasch fort schist schleisch scheschlorden schund
schat schlunter schluns scheschlohnt

s---------------c---------------h
s---------------c---------------h
schllls-------------c---------------h
flotsch



klebend
ich klebe an gott dem allmächtigen vater
schöpfer himmels und aller verderbnis
und an seinen in diese scheiße hineingeborenen sohn
der zu sein ich selber mich wähne um mich schlagend
um mein maul aus diesem meer von kot in die luft zu halten
und immer noch atem zu kriegen warum nur
weil ich ein von maßloser feigheit gesteuertes schwein bin
unfähig willentlich unterzutauchen ins unausweichliche



loch
loch
loch doch
so loch doch
so loch doch schon
so loch doch
loch doch
loch

üch loch müch kronk

















selbstportrait, 18. juli 1980
es sei mit ihm was los. nein, so genau
wisse er selbst es nicht, spüre jedoch
daß nichts mehr sei wie es gewesen sei.
davon erzählen wolle er eigentlich nicht.
wolle eigentlich überhaupt nichts, wolle aber
auch nicht völlig untätig sein, beschäftige sich
daher nach wie vor mit gedichten, deren
herstellung. auch wenn
kein wort mehr glänze.

...

aus dreckigem glase
jetzo trinke er
das übliche gemisch, nur etwas
mehr mineralwasser, dafür
weniger whiskey, die flasche
beinah leer, und er
nicht willens das haus
um neuen vorrat
zu verlassen; müsse ja
dieses gedicht hier noch
schreiben und absegnen, ehe
er sich an das spiel
mit dem schach-computer mache, seinem
neuesten hausgenossen, bekanntlich
dem einzigen (immerhin
schon dritten, nachdem
den ersten und zweiten
innerhalb rückgabefrist
er verabschiedet habe). dreckig,
das glas, von seinen
schokoladelippen
gestern nachts.
er schon griffe zum strick,
den es im hause nicht gebe, gäbe
es nicht so unmäßig viel

auch noch in seinem alter
zu erleben: schokolade,
whiskey, schach-computer, nutten - nein, vor diesen
habe er immer sich
gehütet. sich zu hüten
sei überhaupt zeitlebens
seine kunst gewesen.
(er wäre ein genie
gewesen, hätte er
sich selbst ver-
hüten können.)




die zwei

daß diese zwei
beide längst ungetan
den wegwerfkörper
ihm gegeben haben
den er schon mehr
als fünfzig jahre
wälze durch diese
nicht von ihm
gewollte welt
wen wirklich
klage er dafür an
die zwei doch nicht
die ihm das angetan
denn deren frage ging
nach lebens glück
als antwort blieb
von ihnen ungewollt
sein mißgeschick zurück



vater kommt
mutter geht
kind schreit
vater mit ein scheit
kinds kopf schlägt
mutter kommt
vater geht
kind bleibt stumm
mutter es rüttelt
kind bleibt stumm
mutter wäscht
blut von kinds kopf
arzt dann ruft
arzt kommt
mutter fleht
seht!
arzt sieht
arzt rüttelt
arzt fühlt
arzt sagt
kind tot
mutter sagt
großer gott
vater kommt
arzt geht
mutter schreit
vater mit ein scheit
mutters kopf schlägt
vater geht
mutter sich schleppt
zu kinds bett
bist doch mein allerliebstes
bist doch mein allerliebstes



sieben kinder

wieviele kinder haben sie eigentlich? - sieben
zwei von der ersten frau
zwei von der zweiten frau
zwei von der dritten frau
und eins
ein ganz kleins
von mir selber



glauben und gestehen

ich glaube
daß meinem toten großvater anton
und meiner toten großmutter marie
und meiner toten mutter luise
und meinem toten vater viktor
und meinem toten bruder robert
und meinen toten vettern herbert und hans
und meinen toten onkeln und tanten
und meinem toten freund dietrich
und allen toten die ich lebendig gekannt habe
ich niemals irgendwo wieder begegnen werde

und

ich gestehe
daß irgend einem von ihnen
wie sehr ich ihn auch geliebt haben mochte
jemals irgendwo wieder zu begegnen
ich nicht den leisesten wunsch hege



inhalt

um ein gedicht zu machen
habe ich nichts
eine ganze sprache
ein ganzes leben
ein ganzes denken
ein ganzes erinnern
um ein gedicht zu machen
habe ich nichts



Das Öffnen und Schließen des Mundes
(aus: Frankfurter Poetik-Vorlesungen; 1. Vorlesung)

(...) Fünf Vorlesungen hindurch wird uns nun das Öffnen und Schließen des Mundes beschäftigen. (...) Freilich bräuchte ich, um unserem Thema zu entsprechen, hier vor Ihnen nichts anderes zu tun, als zu essen und zu trinken - eine Voraussetzung aller Poesie. Oder ich könnte mein Thema ganz formalistisch auslegen und einfach schnappen: (Ausführung). Ob sich diese gleichbleibende physische Anstrengung jeweils 45 Minuten lang durchhalten läßt, habe ich nicht erprobt; es hängt wohl von der Länge der Intervalle ab. Auch fehlt es mir an Erfahrung, ob sich mit einer Vorlesung durch Schnappen dieser Saal, irgendein Saal, 45 Minuten lang gefüllt halten läßt. Es käme auf den Versuch an. Diesen will ich in meiner ersten Vorlesung noch nicht unternehmen. (...)
Unser Thema: Das Öffnen und Schließen des Mundes.
Unser Generalthema.
Anschaulich dargestellt durch das Gedicht: der mund.

er ist offen
er ist weiter offen
er ist sehr weit offen
er ist zu

(Der Aussage der einzelnen Zeile entsprechend, ist der Mund beim Sprechen des Textes möglichst vollkommen unbeweglich jeweils offen, weiter offen, sehr weit offen oder geschlossen zu halten (...).

Was Sie bisher gelernt haben, ist wenigstens dies: ein geschlossener Mund, mmmmmmmmmm, bedeutet noch nicht Stille - der Nase sei Dank. Erst wenn ich diese ebenfalls schließe, wozu sie selbst nicht die Macht hat, erstirbt jeder Laut: (Vorführung). Daß ein geöffneter Mund nicht schon aus sich heraus Geräusch bedeutet, oder Lärm, oder Gesang, kennen Sie aus allen möglichen Situationen Ihres eigenen Lebens (...).



zweierlei handzeichen

ich bekreuzige mich
vor jeder kirche
ich bezwetschkige mich
vor jedem obstgarten

wie ich ersteres tue
weiß jeder katholik
wie ich letzteres tue
ich allein



der fisch

der holde fisch, den ich
in mein triefendes maul stopfe, sein flinkes
wasserspiel hat den angler so aufgereizt
daß er die angel ihm in sein argloses maul rannte
und ihn hoch in die luft riß, den in todesnot zappelnden
ihn zu boden schmiß und mit einem steinhieb ihm
die stirn zerschlug. die besudelte köchin
schlitzte den silberbauch des getöteten, riß
seine eingeweide heraus und schmiß
ihn ins siedende fett in der pfanne; spuckte
während er briet, auf den schmierigen teller
wischte ihn an der blutigen schürze und schmiß
den endlich eßreifen fischkadaver darauf,
gab der kellnerin als signal einen tritt in den arsch
die den teller nun packte und dem lechzenden vielfraß
mir, dem geheiligten gast, vors triefende maul
auf die tischplatte donnerte. komm!
rief mit ausgebreiteten armen ich, herr jesus!
sei unser gast und segne was du
uns bescheret hast, wie die vermoderte
mutter es mich todgeweihten gelehrt hatte.



mahlzeit

haben stecken in das mund
das nudelrund auf gabel
haben zumachen das mund
haben rausziehen aus mund
ohne nudelrund das gabel
sein drinbleiben in mund
ohne gabel das nudelrund
haben schlucken das nudelrund
sein das nudelrund gehen in magen
so machen haben oft
essen haben pasta asciutta



franz hochedlinger-gasse wo gehen ich
liegen spucken
wursten von hunden
saufenkotz

ich denken müssen
in mund nehmen
aufschlecken schlucken
denken müssen nicht wollen



visite

doktor ich nicht können aufhören scheißen
du mir geben mittel für aufhören scheißen

doktor ich nicht können aufhören sagen au au

du mir geben mittel für aufhören sagen au au

doktor ich nicht können aufhören in kopf reden wenn wollen schlafen
du mir geben mittel für aufhören in kopf reden und anfangen schlafen

doktor ich nicht können aufhören krepieren
du mir geben mittel für krepieren



gefallen

er sei gefallen, nun
er sei gefallen - er auch
schon oft, gefallen hin
aufs knie, und aufgeschlagen habe
er sein knie, mit jod
die mutter dann behandelt
habe es. doch klinge
er sei gefallen, hier
so schwer, als müsse mehr
geschehn sein als ein bluten
am knie, ein brennen, ein verkrusten
schließlich ein rosa
dort wo die kruste
abgefallen ist.



nach altem brauch

keiner schließlich
hat es gewollt

jeder schließlich
hat es getan

das hört sich an wie lüge
und ist es auch



vater komm erzähl vom krieg

vater komm erzähl wiest eingrückt bist
vater komm erzähl wiest gschossen hast
vater komm erzähl wiest verwundt wordn bist
vater komm erzähl wiest gfallen bist
vater komm erzähl vom krieg







kriegskrüppel 1955

der könnte jetzt bald
ein hauptmann sein
schade um sein bein







schtzngrmm schtzngrmm
t-t-t-t
t-t-t-t
grrrmmmmm
t-t-t-t
s----------c-------------h
tzngrmm
tzngrmm
tzngrmm
grrrmmmmm
schtzn
schtzn
t-t-t-t
t-t-t-t
schtzngrmm
schtzngrmm
tssssssssssssss
grrt
grrrrrt
grrrrrrrrrt
scht
scht
t-t-t-t-t-t-t-t-t-t
scht
scht
scht
scht
scht
grrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr
t-tt




privater marsch

schmackel
schmackel
bunz
bunz
schmackel
schmackel
bunz
schmackel
schmackel
bunz
bunz
schmackel
schmackel
bunz
schmackel
bunz
bunz
bunz
schmackel
bunz
bunz
bunz
schmackel
bunz
bunz
bunz
schmackel
bunz
schmackel
bunz
schmackel
bunz
bunz
schmackel
bunz
bunz
bunz



falamaleikum
falamaleitum
falnamaleutum
fallnamalsoovielleutum
wennabereinmalderkrieglanggenugausist
sindallewiederda.
oderfehlteiner?





leise unruhe

an ruhigen tagen
sitzen und fragen:
geht es immer so weiter?
geht es immer so weiter?
geht es immer so weiter?
geht es immer so weiter?
geht es immer so weiter?
geht es immer so weiter?
geht es immer so weiter?
ach ginge es doch immer so weiter



goethe
gesänge aus "wilhelm meister"/
harfenspieler 1

wer sich der einsamkeit ergibt
ach! der ist bald allein
ein jeder lebt, ein jeder liebt,
und läßt ihn seiner pein.
ja! laßt mich meiner qual!
und kann ich nur einmal recht einsam sein,
dann bin ich nicht allein.

es schleicht ein liebender lauschend sacht,
ob seine freundin allein?
so überschleicht bei tag und nacht
mich einsamen die pein,
mich einsamen die qual.
ach, wird ich erst einmal im grabe sein.
da läßt sie mich allein.


dieser original-text ist vorlage für:

1) nasal-velare deklamation (nase-gaumensegel): lippen geöffnet,
ohne bewegung; lippenstellung entspricht etwa dem dunklen a; großer ausdruck

2) das gleiche, mit labialer akzentuierung: velarer nasallaut konstant
(legato), lippen - weit vorgestülpt, kleine öffnung - akzentuieren mit b-ähnlichen
schlägen jede silbe; weniger ausdruck, flacher, singender

3) bilabiale version, stakkato: lippen geschlossen, weit auseinandergezogen,
b-ähnliche stimmlose explosivlaute durch öffnen des mundes (b:),
akzentuierung jeder silbe, rapides tempo

4) labido-dentale version: w-stellung (obere schneidezähne auf unterlippe),
luft wird in stößen, die in zahl und länge den silben entsprechen, ohne stimmton
herausgepreßt (geringer ausdruck, intimer charakter)




ottos mops

ottos mops trotzt
otto: fort mops fort
ottos mops hopst fort
otto: soso

otto holt koks
otto holt obst
otto horcht
otto: mops mops
otto hofft

ottos mops klopft
otto: komm mops komm
ottos mops kommt
ottos mops kotzt
otto: ogottogott



mann & frau
in der welt des deutschen

der blut die blüte
der bruck die brücke
der buhn die bühne
der burd die bürde
der bust die büste
der flot die flotte
der full die fülle
der holl die hölle
der hull die hülle
der hutt die hütte
der kruck die krücke
der kuhl die kühle
der kust die küste
der luck die lücke
der muck die mücke
der muh die mühe
der muhl die mühle
der mutz die mütze
der pfutz die pfütze
der raud die räude
der rug die rüge
der sag die säge
der sund die sünde
der tuck die tücke
der tut die tüte
der wust die wüste



etüde in f

eile mit feile
eile mit feile
eile mit feile
durch den fald

durch die füste
durch die füste
durch die füste
bläst der find

falfischbauch
falfischbauch

eile mit feile
eile mit feile
auf den fellen
feiter meere

auf den fellen
feiter meere
eile mit feile
auf den fellen

falfischbauch
falfischbauch

eile mit feile
auf den fellen
feiter meere
feiter meere

falfischbauch
falfischbauch
fen ferd ich fiedersehn
falfischbauch
falfischbauch
fen ferd ich fiedersehn

fen ferd ich fiedersehn
falfischbauch
fen ferd ich fiedersehn

falfischbauch
falfischbauch

ach die heimat
ach die heimat
fen ferd ich fiedersehn
ist so feit




wanderung

vom vom zum zum

vom zum zum vom

von vom zu vom

vom vom zum zum

von zum zu zum

von zum zu zum

vom zum zum vom
vom vom zum zum


und zurück




tanz

nödl ich
südl du

östl ich
westl du

südl ich
nördl du

westl ich
östl du




bitteschneu
2
3
4
5
6
7
8
9
10
bitteschneu
3
4
5
6
7
8
9
10
bitteschneu
4
5
6
7
8
9
10
bittenschneu
5
6
7
8
9
10
bitteschneu
6
7
8
9
10
bitteschneu
7
8
9
10
bitteschneu
8
9
10
bitteschneu
9
10
bitteschneu
11




der unlogische knabe

wie meine mutter mir gesagt hat
wie das mit den kindern ist
hab ich mir gedacht: wie schade
daß ich keine frau werde

ich hab mir nicht gedacht: wie schade
daß ich kein mädchen bin
denn ein mädchen sein wollte ich nie
obwohl es anders nicht gegangen wäre
man sieht daran der knabe
hat nicht logisch gedacht
aber was er dann als mann gemacht hat
ist eine ganz andere geschichte



klos, sein da wo klos?
du gehn rund den knödel
du dann finden den türen
sein drauf stehn "männeken"
du dort treten innen
du dort finden den rinnen
du machen auf den hos
du wissen was dann tun?
ja ich wissen was dann tun.
so ich gehn rund den knödel
ich dann finden den türen
sein drauf stehn "männeken"
ich dort treten innen
ich dort finden den rinnen
ich machen auf den hos
ich nix finden darinnen.
rasch ich zumachen den hos
rasch ich treten außen
finden den türen neben
sein drauf stehn "fraunen"
sein ich erstaunen
daß in mein leben das
ich haben können vergessen.



Die Humanisten (aus: Frankfurter Poetik-Vorlesungen; 4. Vorlesung)

Das vorhergehende Gedicht (...) schrieb ich, wie viele andere seit 1976,
in einer Sprache, die ich vereinfachend als heruntergekommene Sprache bezeichne.
(...) mein Versuch, eine regelwidrige Sprache für einen Moment aufleuchten zu lassen als Sprache unserer Poesie.
(...)Sie können daran ersehen, wozu mir zuweilen die heruntergekommene Sprache dient.
Also zum Beispiel, um zu zeigen, daß es "in dem, was man zu sagen hat, (...) keine alternative" gibt, und auch für andere keine zu finden ist.













ein noten

das jagen sein ein bitter brot
für feld- und waldwild alle
allein auch menschen sein in not
hochmut kommt vor dem falle

laß hungers sterben inderkind
dich sitzen breit auf gasthausbank
dein umdrehn gehn nicht so geschwind
wie hammer auf dein kopf zum dank

hier kommen ein sozialen not
ein noten rein in das gedicht
inderkind sein inzwischen tot
noch steigen gasthausmanns gewicht


Würden Sie in Zeile eins sagen: "Die Jagd ist ein bitteres Brot",
hätten Sie schon alle Jäger für sich gewonnen, wären zitierbar geworden,
ein Motto für das Blättchen jedes Jägervereins, und könnten sich die übrigen Zeilen ersparen. Sie spüren etwas von der Macht der herunter-gekommenen Sprache, mit deren Hilfe Sie sich auf der Stelle deklarie-ren können, wenn Sie wollen.



aus: die humanisten - konversationsstück in einem akt

m1:
ich sein mein sprach
mein deutsch sprach
mein schön deutsch sprach
(zum publikum)
du wundern mein schön deutsch sprach?
sein sprach von goethen
grillparzern stiftern
sein sprach von nabeln
küßdiehandke
nicht sprach von häusselwand
sein sprach von bühnen
sein bühnendeutschen
sein von burgentheatern
nicht sprach von häusselwand

(m2 tritt auf, nähert sich)

mein sprach sein ein loben
immer wenn sprechen ich loben den sprach
mein sprach sein ein loben

(Sprecher: Mann zwei, Mann eins, abwechselnd.
Thema: eskalierende gegenseitige Vorstellung zweier Akademiker.)

m2:
du sein gut sprechen
du haben denkenkraft
du wortengewalt
m1:
ich sein ein professor
was du sein?
m2:
ich sein ein kunstler
was du sein?
m1:
ich sein ein universitäten professor
was du sein?
m2:
ich sein ein groß kunstler
was du sein?
m1:
ich sein ein universitäten professor von geschichten
was du sein
m2:
ich sein ein groß deutschen und inder national kunstler
was du sein?
m1:
ich sein ein universitäten professor kapazitäten von
den geschichten
was du sein?
m2:
ich sein ein groß deutschen und inder national nobel
preisen kunstler
was du sein?
m1:
ich sein ein nobel preisen universitäten professor
kapazität von den deutschen geschichten
ich sein ein nobel preisen
m2:
ich auch sein ein nobel preisen
m1:
ich und du sein ein nobel preisen
m2:
herren kollegen
m1:
herren kollegen
m2:
ich und du sein ein nobel preisen
m1:
ich und du sein ein herren kollegen





beantwortung von sieben nicht gestellten fragen


nein

nein

nein

nein

nein

nein

nein





my own song

ich will nicht sein
so wie ihr mich wollt
ich will nicht ihr sein
so wie ihr mich wollt
ich will nicht sein wie ihr
so wie ihr mich wollt
ich will nicht sein wie ihr seid
so wie ihr mich wollt
ich will nicht sein wie ihr sein wollt
so wie ihr mich wollt

nicht wie ihr mich wollt
wie ich sein will will ich sein
nicht wie ihr mich wollt
wie ich bin will ich sein
nicht wie ihr mich wollt
wie ich will ich sein
nicht wie ihr mich wollt
ich will ich sein
nicht wie ihr mich wollt will ich sein
ich will sein.



gedichte an die kindheit

1
der seelenhirte

daß alle menschen etwa
eine einzige seele möchten sein,
die reicht, solang sie leben,
in ihre körper hinein
und schnappt, sobald sie sterben,
dann irgendwo zurück
in diesen einzigen großen seelenleib,
in dieses unvergängliche glück,
das wollte ich gern hoffen.

2
der nebel

der nebel kommt
und legt einen schleier
über die nahen dinge,
die noch zu sehen sind.
über die fernen dinge aber
legt er sich dicht.
ich seh sie nicht
und weiß oft nicht
ob sie überhaupt dort sind.

3
der nebel

der nebel ist das leben,
wenn man es von hinten beginnt.
das möchte manchmal jeder,
zu werden noch ein kind.
ich möchte es immer mehr,
je älter ich werde,

und komme doch immer näher
meiner mutter der erde
was auch heißen kann:
meiner mutter in der erde


4
die einsamkeit

das muß schon einige zeit her sein,
daß ich von einsamkeit gelesen habe,
denn längst ist einsamkeit nicht mehr
so fern (von mir),
daß ich es lesen muß
um etwas davon zu hören.
sie geht mir tag und nacht
nicht mehr aus den ohren.

5
die spuren

die spuren, die ich hinterlasse,
sind in mancher schrift
geschrieben und gedruckt.
die luftbewegung der zeit
wischt sie von den seiten
früher oder später
und ich werde mich nicht einmischen.
aber in die erde
werde ich mich einmischen
so tief hinein, so oberflächlich hinein
und, wen es nicht zu tränen rührt,
so lächerlich, aber spurlos,
nämlich eine luftbewegung
ohne eine zeitbewegung.

7
ein roman

ein roman ist eine geschichte
in der
alles zu lange dauert.
das ist ein roman.

8
das dorf

das dorf ist kleiner als die stadt,
aber nicht so klein wie das haus.
es besteht aus mehreren von ihnen.
und jedes ist so arg
sogar bewohnt.





jupiter unbewohnt
merkur unbewohnt
saturn unbewohnt
uranus unbewohnt
neptun unbewohnt
venus unbewohnt
pluto unbewohnt
mars unbewohnt
erde ungewohnt



begebenheit

fünf
jahrzehnte
gelebt
und nichts
zu berichten

sich verkriechen
bei tisch
wenn ein junger
erzählt
und erzählt




die überwindung
für friedrike mayröcker

kaum habe er
geschrieben was an diesem einen tag
er schreiben habe wollen

so überkomme ihn
nicht durst nein
trinkenslust

auch wenn es nicht
der tageszeit entspreche
und wenn es nicht

der tageszeit entspreche
fange für ihn
ein scharfer zwiespalt an

am schärfsten spürbar wenn
der tagesplan
noch ein zusammentreffen vorsehe

ausgenommen mit der ihm engst vertrauten
vor der er auch
wehenden alkohols nicht reuig stehe

also versuche er es
mit einem einzigen gläschen
wodka

wobei er ein recht großes
glas benütze
zur verringerung der kontrolle

es aber höchstens
ein drittel fülle
meist etwas weniger

es werde leer
es werde voll
es werde leer


schon fürchte er nicht mehr
treffen mit irgendwem
und aus den händen

lästiges kribbeln
vollends
sei geschwunden

so habe er sich wieder überwunden



Wie ich dich nenne,
wenn ich an Dich denke und Du nicht da bist


meine Walderdbeere
meine Zuckerechse
meine Trosttüte
mein Seidenspinner
mein Sorgenschreck
meine Aurelia
meine Schotterblume
mein Schlummerkind
meine Morgenhand
mein Vielvergesser
mein Fensterkreuz
mein Mondverstecker
mein Silberstab
mein Abendschein
mein Sonnenfaden
mein Rüsselhase
mein Hirschenkopf
meine Hasenpfote
mein Treppenfrosch
mein Lichterkranz
mein Frühlingsdieb
mein Zittergaul
meine Silberschnecke
mein Tintenfaß
mein Besenfuchs
mein Bäumefäller
mein Sturmausreißer
mein Bärenheger
mein Zähnezeiger
mein Pferdeohr
mein Praterbaum
mein Ringelhorn
meine Affentasche
meine Winterwende
meine Artischocke
meine Mitternacht
mein Rückwärtszähler

(da capo)






hosi

anna
maria
magdalena
hosi
hosianna
hosimaria
hosimagdalena
hosinas
hosiannanas
hosimarianas
hosimagdalenanas
ananas




Aus der Fremde...
(aus: Frankfurter Poetik-Vorlesungen; 5. Vorlesung)

(...)So, wie Sie es jetzt hören, sehen Sie es (...) nicht; nichts sehen Sie so, wie Sie es hören, nichts hören Sie so, wie Sie es sehen, natürlich erleben Sie es gleichzeitig, wenn Sie nicht entweder blind oder taub sind, aber das Gesehene und das Gehörte, das Sichtbare und das Hörbare, sind zwei getrennte Welten, getrennt durch die Not, die Not unserer Sinne doch - oder wer hätte zu eigen das hörende Auge, das sehende Ohr? Ihnen, den Sinnen, folgte gehorsam die Organisation unserer Künste, die stummen Bilder und Plastiken, die schweigenden Türme und Tempel, die blinde Musik. Wie wunderbar dann, was in unserem Zentrum geschieht, wenn das Auge den Strom seiner eigenen Welt und das Ohr den Strom seiner ganz anderen eigenen Welt auf denselben Punkt lenken, damit der Wald rauscht. (...) Die tatsächliche vollkommene Aufhebung der Trennung in die Welt des Optischen und die Welt des Akustischen, wie sie mangels und kraft unserer Sinnes-organe besteht, ist dem Menschen indes durch die Erfindung seiner Sprache gelungen, die Erfindung seiner Sprache als eines doppelten, parallelen Zeichensystems, eines akustischen und eines optischen, mit einem Höchstmaß an erzielbarer Übereinstimmung und einem Ge-ringstmaß an Einbuße beim Wechsel vom einen zum andern. Egal ob durchs Auge oder durchs Ohr, gelesen oder gehört, ins Zentrum gelangt, an die Stelle, wo es denkt, bewirkt es dort annähernd dasselbe (...). Was läßt uns sagen: "Er hat die Augen für immer geschlossen", um seinen Tod zu umschreiben, aber nicht: "den Mund", nein, niemals "den Mund" - "Er hat den Mund für immer geschlossen", alle noch haben es getan, alle noch werden es tun, aber niemand sagt es so; immer nur: "die Augen - für immer", nie: "den Mund - für immer - geschlossen". Hat es etwa damit zu tun, daß wir jedem in die Augen blicken, wenn wir es tun, selten: in den Mund; (...)
Auch aus dem Stück Aus der Fremde läßt es sich herauslesen, was es mit dem Haupt- und Staatsthema, dem Startthema, dieser fünf Vorlesungen auf sich hat, gehabt hat und haben wird, solange es einem Atem gelingt, mittels aller Bewegungen seines Mundes von dort, wo es in ihm denkt, alles, was in ihm sich denkt, durch die Luft, die die beiden verbindet und trennt, ans Ohr eines zweiten und durch dieses hindurch ans Ziel zu befördern, an die Stelle, wo in diesem zweiten es denkt. Möge es noch lange mit uns allen so geschehen.



glückwunsch

wir alle wünschen jedem alles gute:
daß der gezielte schlag ihn just verfehle;
daß er, getroffen zwar, sichtbar nicht blute;
daß blutend wohl, er keinesfalls verblute;
daß, falls verblutend, er nicht schmerz empfinde;
daß er, von schmerz zerfetzt, zurück zur stelle finde
wo er den ersten falschen schritt noch nicht gesetzt -
wir jeder wünschen allen alles gute



epoche zahlreicher veränderungen

eine veränderung
und wieder
eine veränderung
und wieder
eine veränderung
und wieder
eine veränderung
und wieder
eine veränderung
und wieder
eine veränderung
und schon wieder
eine veränderung
und schon wieder
eine veränderung
und schon wieder
eine veränderung
und schon wieder
und noch eine
und noch eine
und noch eine
und noch eine
und noch eine
und noch viele
und noch viele viele viele viele viele
geburtstage im kreise der familie









Biographisches über Ernst Jandl:

Ernst Jandls Leben hat Klaus Sieblewski, der den bisher einzigen umfangreichen biographischen Band über Ernst Jandl geschrieben hat, in sieben wichtige Beziehungen gesetzt. Drei davon stellen wir hier vor.
Da ist zunächst Jandls Herkunft, sein familiales Umfeld, das zwischen dem für damalige Verhältnisse eher liberalen Vater Viktor und seiner Mutter Luise, die katholisch bis zur Bigotterie gewesen sein muß, schwankt. Ernst Jandl wird als ältester von drei Söhnen 1925 geboren. Als er 15 Jahre alt ist, stirbt seine Mutter. Von ihr allerdings hat er das Schreiben und vor allem das Wichtignehmen von Dichtung gelernt.

Seit den Tagen ihrer langen Krankheit nämlich beginnt Luise Jandl Gedichte zu schreiben, die ihr Mann Viktor an seinem Arbeitsplatz -er ist einfacher Bankangestellter- abtippt. Viktor Jandl selbst ist autodidaktischer Maler und vor allem Fotograph gewesen. Die meisten Fotos, die es von Ernst Jandl gibt, selbst spätere noch, sind von seinem Vater Viktor angefertigt. Abends, im Kreise der Familie, trägt Luise Jandl ihre Gedichte vor und es wird lebhaft darüber diskutiert. Veröffentlichungen in Zeitungen gehören für sie ganz selbstverständlich mit zur Produktion von Gedichten.

Diese Dreiheit, das Schreiben, der Vortrag und die Veröffentlichung von Gedichten hat Ernst Jandl explizit von seiner Mutter gelernt. Früh schon, mit 12 Jahren -Jandl ist Schüler im katholischen Schottengymnasium in Wien- wird das Gedicht "Hochwasser" von ihm im "Welt Blatt" abgedruckt. Früh auch ist für den aus "gehobenem kleinbürgerlichen Milieu" (Siblewski) stammenden Jandl klar, daß sich das Dichten nicht zum Beruf eignet. Es soll ein sogenannter Brotberuf gelernt werden, vor dessen sicheren Hintergrund das Dichten geschehen soll. Jandl beschließt auch darin der Mutter nachzugehen und möchte Lehrer werden.


Das zweite entscheidende und ihn nachhaltig prägende Ereignis wird für Jandl der Krieg sein. Es ist die existentielle Bedrohung, derer sich Jandl ganz bewußt ist, als er sich als Gymnasiast dem Kriegstauglichkeitsalter nähert. Für die Nationalsozialisten hat in der Familie Jandl niemand etwas übrig und es gelingt Ernst Jandl sogar, nicht in die Hitlerjugend einzutreten, obwohl ganze Klassenverbände geschlossen -oder eben fast geschlossen- sich dort einschreiben. Jandl und einige seiner Mitschüler kennen ihre Bestimmung als "Kanonenfutter" ganz genau, und benennen dies auch so. Jandl versucht seinen Fronteinsatz mit allen möglichen Mitteln hinauszuzögern und vergeblich durch Simulieren untauglich geschrieben zu werden.

Während dieser Zeit lernt Jandl unter anderem auch über den Katalog zur Ausstellung "Entartete Kunst" die moderne bildende Kunst kennen und erwirbt auch quasi unter dem Ladentisch Hindemiths "suite 1922". Sein lyrischer Proviant zwischen 1938 und 1942, so Jandl, besteht aus je drei Gedichten von August Stramm, Wilhelm Klemm und Johannes R. Becher. Schließlich bekommt Jandl den Stellungsbefehl an die Westfront, wo es ihm, zusammen mit anderen Gesinnungsgenossen im zweiten Versuch gelingt, zu den Briten überzulaufen.

In britischer Gefangenschaft hilft ihm sein Schulenglisch dabei, eine Stellung als Dolmetscher zu bekommen, die er auch dazu nutzt, sein spärliches Englisch intensiv und systematisch zu verbessern. Das Dolmetscher Dasein verschafft ihm Zugang zur Bibliothek des Kriegsgefangenenlagers und er macht die Bekanntschaft mit AutorInnen, deren Namen er bis dahin nie gehört hatte: Gertrude Stein und Ernest Hemingway. 1946 wird Jandl schließlich aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und kehrt nach Wien zurück.

Jandl ist nun um ein geordnetes Leben bemüht und studiert schon bald Germanistik und Anglistik, mit dem Ziel Lehrer zu werden. Während des Studiums lernt er Roswitha Birthi kennen und bald schon heiraten die beiden, eben um ihrem Leben Halt und Ordnung zu geben. Aber Jandl verfällt nun mehr und mehr dem Schreiben.


1954 lernt er bei den Jugendkulturwochen in Innsbruck Friederike Mayröcker kennen und damit beginnt das dritte entscheidende Ereignis in Ernst Jandls Leben. Die Begegnung der beiden bedeutet eine lebenslange Freundschaft und Liebe zueinander. Beide lassen sich von ihren EhepartnerInnen scheiden und widmen sich von da an ganz dem Schreiben. Friederike Mayröcker bleibt Jandls engste Vertraute und Freundin bis zu seinem Tod im Juni dieses Jahr. Beide üben noch den Lehrerberuf aus, doch Jandl läßt sich in immer kürzeren Abständen immer länger beurlauben. Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre wird Jandl mit seinen streng komponierten und reduzierten Gedichten von der damaligen Wiener Avantgarde um H.C. Artmann und Gerhard Rühm noch ignoriert, zumindest aber nicht ernst genommen.

Ein Sturm der Entrüstung bricht in Österreich aber aus, als Jandl mit seinen Sprechgedichten die damals bekannte Lyrik völlig aus den Angeln hebt. Er wird als "Verderber der Jugend" -und das als Deutschlehrer!- in Österreich quasi mit Publikationsverbot belegt. Jandl muß sich um Verleger im Ausland bemühen, die er schließlich auch in England und vor allem in der Bundesrepublik Deutschland findet. Friederike Mayröcker und er entdecken für sich das bis dahin noch junge Genre des Hörspiels und nach Ausstrahlungen im SWF und im BR steigt das Interesse an Jandl sprunghaft an.

Stipendien in Berlin, erste Auszeichnungen und Ehrungen lassen ihn immer schulunabhängiger, aber auch berühmter werden. Zahlreiche Vorträge und Lesungen seiner Gedichte -auch zusammen mit Jazzbands- lassen Jandl schließlich zu einer Art Kultfigur zumindest bei der jungen Generation werden. Der Durchbruch fängt für Jandl erst in den späten 70er Jahren an, erfährt seinen Höhepunkt dann in den 80er und 90er Jahren, in denen er mit fast allen Literaturpreisen in Deutschland und Österreich, sowie mit Gastprofessuren in Deutschland und den USA geehrt und ausgezeichnet wird.