schwarzer Humor Die Maßnahmen

Die Faulen werden geschlachtet
die Welt wird fleißig
Die Häßlichen werden geschlachtet
die Welt wird schön
Die Narren werden geschlachtet
die Welt wird weise
Die Kranken werden geschlachtet
die Welt wird gesund
Die Traurigen werden geschlachtet
die Welt wird lustig
Die Alten werden geschlachtet
die Welt wird jung
Die Feinde werden geschlachtet
die Welt wird freundlich
Die Bösen werden geschlachtet
die Welt wird gut

Fried, Erich (1921 - 1988)





Sonntag in Lübeck

Wie sie kauend durch die Straßen schieben!
Du mußt diese Menschen nicht lieben.
Wie sie gekleidet sind, die Ungeschlachten!
Du mußt diese Menschen nicht achten.
Wie erfreulich es wär, wenn sie weniger wögen!
Du mußt diese Menschen nicht mögen.
Wie sie durch ihre Stumpfheit entsetzen!
Du mußt diese Menschen nicht schätzen.
Wie schafft man es nur, sie nicht zu hassen!
Da mußt du dir etwas einfallen lassen!

Gernhard, Robert (1937 - 2006)





Zeitgenossen haufenweise

Es ist nicht leicht, sie ohne Haß zu schildern,
und ganz unmöglich geht es ohne Hohn.
Sie haben Köpfe wie auf Abziehbildern
und, wo das Herz sein müßte, Telefon.

Sie wissen ganz genau, daß Kreise rund sind
und Invalidenbeine nur aus Holz.
Sie sprechen fließend, und aus diesem Grund sind
sie Tag und Nacht - auch sonntags - auf sich stolz.

In ihren Händen wird aus allem Ware.
In ihrer Seele brennt elektrisch Licht.
Sie messen auch das Unberechenbare.
Was sich nicht zählen läßt, das gibt es nicht!

Sie haben am Gehirn enorme Schwielen,
fast als benutzten sie es als Gesäß.
Sie werden rot, wenn sie mit Kindern spielen.
Die Liebe treiben sie programmgemäß.

Sie singen nie (nicht einmal im August)
ein hübsches Weihnachtslied auf offner Straße.
Sie sind nie froh und haben immer Lust
und denken, wenn sie denken, durch die Nase.

Sie loben unermüdlich unsre Zeit,
ganz als erhielten sie von ihr Tantiemen.
Ihr Intellekt liegt meistens doppelt breit.
Sie können sich nur noch zum Scheine schämen.

Sie haben Witz und können ihn nicht halten.
Sie wissen vieles, was sie nicht verstehn.
Man muß sie sehen, wenn sie Haare spalten!
Es ist, um an den Wänden hochzugehn.

Man sollte kleine Löcher in sie schießen!
Ihr letzter Schrei ist noch ein dernier cri.
Jedoch sie haben viel zu viel Komplicen,
als daß sie sich von uns erschießen ließen.
Man trifft sie nie.

Kästner, Erich (1899 - 1974)





Misanthropologie

Schöne Dinge gibt es dutzendfach.
Aber keines ist so schön wie diese:
eine ausgesprochen grüne Wiese
und paar Meter veilchenblauer Bach.

Und man kneift sich. Doch das ist kein Traum.
Mit der edlen Absicht, sich zu läutern,
kniet man zwischen Blumen, Gras und Kräutern.
Und der Bach schlägt einen Purzelbaum.

Also das, denkt man, ist die Natur?
Man beschließt, in Anbetracht des Schönen,
mit der Welt sich endlich zu versöhnen.
Und ist froh, daß man ins Grüne fuhr.

Doch man bleibt nicht lange so naiv.
Plötzlich tauchen Menschen auf und schreien.
Und schon wieder ist die Welt zum Speien.
Und das Gras legt sich vor Abscheu schief.

Eben war die Landschaft noch so stumm.
Und der Wiesenteppich war so samten.
Und schon trampeln diese gottverdammten
Menschen wie in Sauerkraut herum.

Und man kommt, geschult durch das Erlebnis,
wieder mal zu folgendem Ergebnis:
Diese Menschheit ist nichts weiter als
eine Hautkrankheit des Erdenballs.

Kästner, Erich (1899 - 1974)





Das Geheimnis des Glücks

Als ihm ein Engel erzählt hatte, Noureddin Becar sei der glücklichste Mann der Welt, ließ der Sultan ihn in den Palast bringen und sagte:
"Verrate mir, ich befehle es dir, das Geheimnis deines Glücks."
"O Vater der Sonne und des Mondes", antwortete Noureddin Becar, "ich habe nicht gewußt, daß ich glücklich bin."
"Das", sagte der Sultan, "ist das Geheimnis, das ich gesucht habe."
Noureddin Becar zog sich in tiefster Niedergeschlagenheit zurück, da er fürchtete, sein frischgefundenes Glück möchte ihn verlassen.

Bierce, Ambrose (1842 - 1914 verschollen)





Ja, das Leben war doch gar nicht so schlecht, wenn man noch richtig Kummer haben konnte.

Boetius, Henning (1939-2022)





epoche der zahlreichen veränderungen

eine veränderung
und wieder
eine veränderung
und wieder
eine veränderung
und wieder
eine veränderung
und wieder
eine veränderung
und wieder
eine veränderung
und schon wieder
eine veränderung
und schon wieder
eine veränderung
und schon wieder
eine veränderung
und schon wieder
und noch eine
und noch eine
und noch eine
und noch eine
und noch eine
und noch viele
und noch viele viele viele viele viele
geburtstage im kreise der familie

jandl, ernst (1925 - 2000)





Lebendig?

Einer behauptet
er lebt
und will das beweisen
indem er sagt
er hat gegessen
gelacht
getrunken
und fast geweint

Das beweist nichts
Das haben
auch alle die tot sind
getan

Fried, Erich (1921 - 1988)



Wirf dich weg!
Sonst bist du nicht
meiner Art und meines Blutes.
Wehe, wachst du zagen Mutes
über deinem Lebenslicht,
dessen Flamme gar nichts wert,
wenn sie nicht ihr Wachs - verzehrt.

Brenne durstig himmelan!
Brenne stumm hinab! Doch - brenne!
Daß dein Los von dem dich trenne,
der sich nicht verschwenden - kann.
Laß ihm seine Angst und Not!
Du verstehe nur - den Tod!

Morgenstern, Christian (1871 - 1914)





Auch das

Ratlosigkeit ist gut
Verlieren ist gut
Versäumnis ist gut
Verkehrte Wege wählen ist gut
Nicht weiterwissen ist gut
Sich leer fühlen ist gut.
Auch das ist ein volles Leben.

Fritz, Walter-Helmut (1929-2010)





vermeide dein leben

du bist ein mensch, verwandt der ratte.
leugne gott.
beginne nichts, damit du nichts beenden mußt.
du hast dich nicht begonnen - du wurdest begonnen.
du verendest, ob du willst oder nicht.
glück ist: sich und die mutter bei der geburt zu töten.
eines nur suche: deinen baldigen schmerzfreien tod.
hilferufe beantworte durch taubheit.
benütze dein denken zum vergessen von allem.
liebe streiche aus deinem vokabular.
verbrenne dein wörterbuch.
atme dich zu tode.

jandl, ernst (1925 - 2000)





Mit leichtem Gepäck

Gewöhn dich nicht.
Du darfst dich nicht gewöhnen.
Eine Rose ist eine Rose.
Aber ein Heim
ist kein Heim.

Sag dem Schoßhund Gegenstand ab
der dich anwedelt
aus den Schaufenstern.
Er irrt. Du
riechst nicht nach Bleiben.

Ein Löffel ist besser als zwei.
Häng ihn dir um den Hals,
du darfst einen haben,
denn mit der Hand
schöpft sich das Heiße zu schwer.

Es liefe der Zucker dir durch die Finger,
wie der Trost,
wie der Wunsch,
an dem Tag
da er dein wird.

Du darfst einen Löffel haben,
eine Rose,
vielleicht ein Herz
und, vielleicht,
ein Grab.

Domin, Hilde (1912 - 2006)





so ein trost

wer es nicht mehr ganz so gut kann
wer es nicht mehr so ganz kann
wer es nicht mehr so gut kann
wer es nicht mehr ganz kann
wer es nicht mehr gut kann
wer es nicht mehr so kann
wer es nicht mehr kann

für den tun es andere
ja für den tun es andere
für den tun es ja andere
für den tun es andere ja
für den tun es ja andere ja
ja für den tun es ja andere ja

dutzendfach
hundertfach
tausendfach
millionenfach
ja millionenfach

so ein trost

Jandl, Ernst (1925 - 2000)





bericht

was sich den ganzen tag so tut
was sich das ganze jahr so tut
was sich die ganze zeit so tut
was sich halt so tut
was sich halt den ganzen tag so tut
was sich halt das ganze jahr so tut
was sich halt die ganze zeit so tut
halt was sich so tut
halt was sich den ganzen tag so tut
halt was sich das ganze jahr so tut
halt was sich die ganze zeit so tut
was sich so tut halt
was sich den ganzen tag so tut halt
was sich das ganze jahr so tut halt
was sich die ganze zeit so tut halt

Jandl, Ernst (1925 - 2000)





mir schwebt
nichts vor
doch ist
um mich
ein flattern


Jandl, Ernst (1925 - 2000)





Als ich es zuweilen unternommen habe, die ruhelose Geschäftigkeit der Menschen zu betrachten, wie auch die Gefahren und Strapazen, denen sie sich bei Hofe und im Kriege aussetzen, habe ich häufig gesagt, daß das ganze Unglück
der Menschen aus einem einzigen Umstand herrühre, nämlich daß sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können.
Wenn ein Mann, der genug Vermögen zum leben hat, es verstünde, vergnügt zu Hause zu bleiben, so würde er nicht ausziehen, um über das Meer zu fahren oder sich an der Belagerung einer Festung zu beteiligen (...)
Welche Lage man sich auch immer vor Augen führen
mag, wenn man alle Güter zusammenhäuft, die uns gehören können, so ist die Königswürde doch die schönste Stellung der Welt.
Und trotzdem, wenn man sich denkt mit ihr und allen Befriedigungen versehen zu sein, wenn der Betreffende ohne Zerstreuung ist und man ihn Betrachtungen und Überlegungen darüber, was er ist, anstellen läßt -
so wird dieses schwache Glück ihm nichts helfen - er wird notgedrungen in Gedanken über jene Geschehnisse verfallen, die ihn
bedrohen, über die Empörungen, die eintreten können und schließlich über den Tod und die Krankheiten, die unausbleiblich sind,
so daß er nun, wenn ihm das fehlt, was man Zerstreuung nennt, unglücklich ist und unglücklicher als der Geringste seiner Untertanen,
der spielt und sich zerstreut (...)
Daher kommt es, daß die Menschen das Getümmel und die Aufregung so gern haben. Daher kommt es, daß das Gefängnis eine so schreckliche
Qual ist, daher kommt es, daß die Freude an der Einsamkeit etwas Unbegreifliches ist. Und schließlich ist es die große Ursache
des Glücks in der Stellung der Könige, daß man unablässig versucht, sie zu zerstreuen und ihnen alle Arten von Vergnügungen
zu verschaffen. Der König ist von Leuten umgeben, die nur daran denken, den König zu zerstreuen und ihn davon abzuhalten, an
sich selbst zu denken. Denn er ist unglücklich, so sehr er auch König ist, sobald er daran denkt.

Pascal, Blaise (1623 - 1662)





Lied vom Sachzwang

Die Dichter, die Denker - das wissen wir jetzt -,
die haben den Menschen total überschätzt.
Er hat nämlich nie eignen Willen besessen,
der Raum für Entscheidung war immer bemessen.
Es ist nicht Natur und nicht Gott und nicht Fatum,
es ist nicht Bestimmung, nicht Sternbild, nicht Datum,
es sind - und da gibt's bitte gar nichts zu lachen! -
es sind - schlicht und einfach -, es sind nur die Sachen.

Der Sachzwang ist schuld,
nur der Sachzwang ist schuld,
der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld.
Was immer wir machen,
uns zwingen die Sachen,
der Sachzwang, der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld.

Der Dreck ist 'ne Sache, die zwingt uns am meisten,
es muß ja die Dreckarbeit auch jemand leisten.
Drum muß man aus Zwang sich die Arbeiter werben,
die Türken, Kroaten, Afghanen und Serben.
Nun muß man aus Sachzwang die Leute entlohnen,
sie müssen - ein Sachzwang - auch irgendwo wohnen.
Man muß ihnen Sachen aus Zwang überlassen.
Draus folgert der Sachzwang, die Fremden zu hassen.

Der Sachzwang ist schuld,
nur der Sachzwang ist schuld,
der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld.
Ja, was soll denn gelingen,
wenn die Sachen uns zwingen?
Der Sachzwang, der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld.

Wir müssen aus Sachzwang - da hilft uns kein Weigern -,
aus Zwang diese Sache, die Rüstung heißt, steigern.
Drum muß man die Sache aus Zwang finanzieren,
da hilft nur eins: Waffen aus Zwang exportieren.
Zwar steckt ein gefährlicher Zwang in den Sachen,
der Zwang, daß die Sachen von Zeit zu Zeit krachen.
Und wenn sie die Erde aus Sachzwängen sprengen,
die Sache verlangt es mit furchtbaren Zwängen.

Der Sachzwang ist schuld,
nur der Sachzwang ist schuld,
der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld.
Die Sache ist zwanghaft,
und der Zwang, der ist krankhaft,
der Sachzwang, der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld.

Wie arm sind die Menschen in den Parlamenten,
so reich an Idealen, Ideen und Talenten.
Und doch! Viele Maßnahmen bergen Entsetzen.
Sie kennen den Sachzwang mit den Arbeitsplätzen.
Mehr Autos, mehr Straßen, da gibt's kein Entflieh'n!
Ein Sachzwang zum Sachzwang für mehr Energien.
Was herrscht, ist politische Sachstrategie,
was bleibt, ist die Farce einer Demokratie.

Der Sachzwang ist schuld,
nur der Sachzwang ist schuld,
der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld.
Diese furchtbare Enge
der sachlichen Zwänge! -
Der Sachzwang, der Sachzwang, der Sachzwang ist schuld.

Schneyder, Werner (1937-2019)





Über den Nutzen ungedruckter Gedichte

Zum Schreiben meiner Gedichte, die niemand lesen wird,
verbrauche ich weißes Papier, damit die Fabriken
blühen, das Kapital sich mehrt, dem Manne an der Walze
der Arbeitsplatz bleibt. Ich gestehe es, eigentlich
hatte ich anderen Nutzen erwartet von meinen Talenten.

Münsterer, Otto Heinrich (1900 - 1974)



von zeiten

sein das heuten tag sein es ein scheißen tag
sein das gestern tag sein es gewesen ein scheißen tag ebenfalz
kommen das morgen tag sein es werden ein scheißen tag ebenfalz
und so es sein aufbauen sich der scheißen woch
und aus dem scheißen woch und dem scheißen woch
so es sein aufbauen sich der scheißen april
und es sein anhängen sich der scheißen mai
und es sein anhängen sich der scheißen juni scheißen juli august
etten zetteren
so es sein aufbauen sich der scheißen jahr
und auf allen vieren der scheißen schalten jahr
und haben jeden der scheißen jahr darauf einen nummeron
neunzehnscheißhundertsiebenundsiebzigscheiß
scheißneunzehnhundertscheißachtundscheißsiebzigscheiß
so es sein aufbauen sich der scheißen leben
schrittenweizen hären von den geburten
und sein es doch wahrlich zun tot-scheißen

jandl, ernst (1925 - 2000)





Kurt Schmidt, statt einer Ballade

Der Mann, von dem im weiteren Verlauf
die Rede ist, hieß Schmidt (Kurt Schm., komplett).
Er stand, nur sonntags nicht, früh 6 Uhr auf
und ging allabendlich Punkt 8 zu Bett.

10 Stunden lag er stumm und ohne Blick.
4 Stunden brauchte er für Fahrt und Essen.
9 Stunden stand er in der Glasfabrik.
1 Stündchen blieb für höhere Interessen.

Nur sonn- und feiertags schlief er sich satt.
Danach rasierte er sich, bis es brannte.
Dann tanzte er. In Sälen vor der Stadt.
Und fremde Fräuleins wurden rasch Bekannte.

Am Montag fing die nächste Strophe an.
Und war doch immerzu dasselbe Lied!
Ein Jahr starb ab. Ein andres Jahr begann.
Und was auch kam, nie kam ein Unterschied.

Um diese Zeit war Schmidt noch gut verpackt.
Er träumte manchmal nachts von fremden Ländern.
Um diese Zeit hielt Schmidt noch halbwegs Takt.
Und dachte: Morgen kann sich alles ändern.

Da schnitt er sich den Daumen von der Hand.
Ein Fräulein Brand gebar ihm einen Sohn.
Das Kind ging ein. Trotz Pflege auf dem Land.
(Schmidt hatte 40 Mark als Wochenlohn.)

Die Zeit marschierte wie ein Grenadier.
In gleichem Schritt und Tritt. Und Schmidt lief mit.
Die Zeit verging. Und Schmidt verging mit ihr.
Er merkte eines Tages, daß er litt.

Er merkte, daß er nicht alleine stand.
Und daß er doch allein stand, bei Gefahren.
Und auf dem Globus, sah er, lag kein Land,
in dem die Schmidts nicht in der Mehrzahl waren.

So war's. Er hatte sich bis jetzt geirrt.
So war's, und es stand fest, daß es so blieb.
Und er begriff, daß es nie anders wird.
Und was er hoffte, rann ihm durch ein Sieb.

Der Mensch war auch bloß eine Art Gemüse,
das sich und dadurch andere ernährt.
Die Seele saß nicht in der Zirbeldrüse.
Falls sie vorhanden war, war sie nichts wert.

9 Stunden stand Schmidt schwitzend im Betrieb.
4 Stunden fuhr und aß er, müd und dumm.
10 Stunden lag er, ohne Blick und stumm.
Und in dem Stündchen, das ihm übrigblieb,
brachte er sich um.

Kästner, Erich (1899 - 1974)





rbt mcht ds lbn hrt.

Frhmrgns wnn dr Wckr bmmlt
schrckt dr Mnsch schn ncht mhr f.
nsttt r f dm Sf lmmt
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Bussard an der Bahnstrecke Ulm-Augsburg

Der Bussard ist ein stolzes Tier,
bei Jettingen liegt sein Revier

Dort sitzt er schwer im welken Gras
weil er, vermute ich, schon fraß

Ich blick auf ihn vom ICE
und denk an die, die ich nicht seh,

An Mäusevater, Mutter, Kind
die alle in dem Bussard sind

Und stumm entbiete ich dem Tier
ein eiliges "Hallo ihr vier!"

Gernhardt, Robert (1937 - 2006)





der unlogische knabe

wie meine mutter mir gesagt hat
wie das mit den kindern ist
hab ich mir gedacht: wie schade
daß ich keine frau werde

ich hab mir nicht gedacht: wie schade
daß ich kein mädchen bin
denn ein mädchen sein wollte ich nie
obwohl es anders nicht gegangen wäre

man sieht daran der knabe
hat nicht logisch gedacht
aber was er dann als mann gemacht hat
ist eine ganz andere geschichte

jandl, ernst (1925 - 2000)





leise unruhe

an ruhigen tagen
sitzen und fragen:
geht es immer so weiter?
geht es immer so weiter?
geht es immer so weiter?
geht es immer so weiter?
geht es immer so weiter?
geht es immer so weiter?
geht es immer so weiter?
ach ginge es doch immer so weiter

jandl, ernst (1925 - 2000)





anleitung zum totalen frieden

wer
will
sagen
gehn

den
mußt
stumm
machen

wer
will
hören
gehn

den
mußt
taub
machen

wer
will
sehen
gehn

den
mußt
blind
machen

wer
will
laufen
gehn

den
mußt
lahm
machen

wer
will
fliegen
gehn

den
mußt
schwer
machen

jandl, ernst (1925 - 2000)





flächen überzieht
dinge verhüllt
an kleidern hängt
aus winkeln quillt
regale füllt
im lichte spielt

staub, mein verstreutes ebenbild

jandl, ernst (1925 - 2000)





betrauern wir diesen mann
der nie mit der faust auf den tisch schlug
betrauern wir diesen mann
weil er nie auf das urteil anderer pfiff
und einfach tat was ihm paßte

betrauern wir diesen mann
der fehlerfrei funktionierte
betrauern wir diesen mann
weil er streit und frauen vermied
und heute von allen gerühmt wird

betrauern wir diesen mann
nicht weil er gestorben ist
betrauern wird diesen mann
weil er war wie auch wir sind
betrauern wir uns

Marti, Kurt (1921-2017)





Was ist das Kostbare im Leben
Die wenigen Freunde hat es gegeben
Den Glanz der Sonne einen Strahl vom Mond.
Aber hat es sich dafür wirklich gelohnt?

Wir haben großzügig gespendet
Niemandes Eigentum entwendet
Die Natur haben wir stets geschont.
Aber hat es sich dafür wirklich gelohnt?

Die Reben haben wir zwar genossen
Wir waren auch immer reichlich begossen
In eignen vier Wänden haben wir gewohnt.
Aber hat es sich dafür wirklich gelohnt?

Geld hatten wir wie Heu
Unsre Frauen waren immer treu
Der Chef hat uns belohnt.
Aber hat es sich dafür wirklich gelohnt?

Die Kinder haben uns stolz gemacht
Unser Liebesfeuer ständig entfacht
Wir haben getochtert und gesohnt.
Aber hat es sich dafür wirklich gelohnt?

Wir waren berühmt auf der ganzen Welt
Haben erfolgreich Romane erzählt
Sogar dieses Gedicht wurde vertont.
Aber hat es sich dafür wirklich gelohnt?

Felix Quadflieg und Sophie Warning 1998





Der geregelte Zeitgenosse

Hei, wie er die Zukunft auswendig wußte!
Er kannte die Höhe der Summe genau,
die man den Kindern und seiner Frau
nach seinem Tode auszahlen mußte.

Er war berühmt als Vater und Gatte,
der Leben und Sterben und Diebstahl und Brand
versicherungsrechtlich geregelt hatte.
Er hatte das Schicksal glatt in der Hand.

Und wenn sich die Achse der Erde verböge:
er wußte, wieviel er am 1. Mai
(vorausgesetzt, daß er am Leben sei)
in zwanzig Jahren Gehalt bezöge.

Gewohnheit umgab ihn mit hohen Mauern.
Sie rückten immer näher heran.
Und er begann, sich zu bedauern.
Nicht immer, aber dann und wann.

Da half kein gesteigertes Innenleben.
Er wußte, was sie morgen besprächen
und was sie einander zur Antwort gäben
und wann und wie sie sich unterbrächen.

Das Lieben und Atmen und Zeitunglesen,
das wurde alles zu einem Amt.
Er war doch mal ein Mensch gewesen!
Das war vorbei, und er dachte: Verdammt!

Verschiedentlich faßte er Fluchtgedanken.
(Er dachte speziell an Amerika.)
Aber aus Angst, seine Frau könnte zanken,
blieb er dann doch immer wieder da.

Kästner, Erich (1899 - 1974)





Der schöne 27. September

Ich habe keine Zeitung gelesen.
Ich habe keiner Frau nachgesehen.
Ich habe den Briefkasten nicht geöffnet.
Ich habe keinem einen Guten Tag gewünscht.
Ich habe nicht in den Spiegel gesehen.
Ich habe mit keinem über alte Zeiten gesprochen und
mit keinem über neue Zeiten.
Ich habe nicht über mich nachgedacht.
Ich habe keine Zeile geschrieben.
Ich habe keinen Stein ins Rollen gebracht.

b>Brasch, Thomas (1945-2001)





kennen Sie dieses schöne land mit seinen tälern und hügeln?
es wird in der ferne von schönen bergen begrenzt. es hat einen horizont, was nicht viele länder haben.
kennen Sie die wiesen, äcker und felder dieses landes? kennnen Sie seine friedlichen häuser und die friedlichen menschen darinnen?
mitten in dieses schöne land hinein haben gute menschen eine fabrik gebaut. geduckt bildet ihr alu-welldach einen schönen kontrast
zu den laub- und nadelwäldern ringsum. die fabrik duckt sich in die landschaft. obwohl sie keinen grund hat sich zu ducken.
sie könnte ganz aufrecht stehen.
wie gut, daß sie hier steht, wo es schön ist und nicht anderswo, wo es unschön ist.
die fabrik sieht aus, als ob sie ein teil dieser schönen landschaft wäre.
sie sieht aus, als ob sie hier gewachsen wäre, aber nein! wenn man sie näher anschaut, sieht man es: gute menschen haben sie
errichtet, von nichts wird schließlich nichts.
und gute menschen gehen in ihr ein und aus. anschließend ergießen sie sich in die landschaft, als ob diese ihnen gehören würde.
die fabrik und das darunterliegende grundstück gehören dem besitzer, der ein konzern ist.
die fabrik freut sich trotzdem, wenn frohe menschen sich in sie ergießen, weil solche mehr leisten als unfrohe.
die frauen, die hier arbeiten, gehören nicht dem fabrikbesitzer.
die frauen, die hier arbeiten, gehören ganz ihren familien.
nur das gebäude gehört dem konzern. so sind alle zufrieden.
die vielen fenster blitzen und blinken wie die vielen fahrräder und kleinautos draußen. die fenster sind von frauen geputzt worden,
die autos meistens von männern.
alle leute, die zu diesem ort gekommen sind, sind frauen.
sie nähen. sie nähen mieder, büstenhalter, manchmal auch korsetts und höschen.
oft heiraten diese frauen oder sie gehen sonstwie zugrunde. solange sie aber nähen, nähen sie. oft schweift ihr blick hinaus zu einem
vogel, einer biene oder einem grashalm.
sie können manchmal die natur draußen besser genießen und verstehen als ein mann.
eine maschine macht immer eine naht. es wird ihr nicht langweilig dabei. sie erfüllt dort ihre pflicht, wohin sie gestellt ist.

jede maschine wird von einer angelernten näherin bedient. es wird der näherin nicht langweilig dabei. auch sie erfüllt eine pflicht.
sie darf dabei sitzen. sie hat viel verantwortung, aber keinen überblick und keinen weitblick. aber meistens einen haushalt.
manchmal am abend fahren die fahrräder ihre besitzerinnen nach hause. heim. die heime stehen in derselben schönen landschaft.
hier gedeiht zufriedenheit, das sieht man.
wen die landschaft, die kinder und der mann, nicht zufrieden machen kann, den macht die arbeit vollauf zufrieden.
doch unsere geschichte beginnt ganz woanders: in der großstadt. dort steht eine zweigstelle der fabrik, oder besser, dort steht die hauptstelle der fabrik und jene stelle im voralpengebiet ist die zweigstelle.
auch hier nähen frauen, was ihnen liegt.
sie nähen nicht, was ihnen liegt, sondern das nähen an sich liegt den frauen schon im blut.
sie müssen dieses blut nur noch aus sich herauslassen.
hier handelt es sich um eine ruhige weibliche arbeit.
viele frauen nähen aus halbem herzen, die andere herzenshälfte nimmt ihre familie ein. manche frauen nähen aus ganzem herzen, das sind nicht die
allerbesten, die das tun.
in der städtischen insel der ruhe beginnt unsere geschichte, die bald wieder zu ende ist.
wenn einer ein schicksal erlebt, dann nicht hier.
wenn einer ein schicksal hat, dann ist es ein mann, wenn einer ein schicksal bekommt, dann ist es eine frau.
leider geht hier das leben an einem vorbei, nur die arbeit bleibt da. manchmal versucht eine der frauen, sich dem vorbeigehenden leben anzuschließen
und ein wenig zu plaudern.
leider fährt dann das leben oft mit dem auto davon, zu schnell fürs fahrrad. auf wiedersehn!

Jelinek, Elfriede (1946)
aus: die liebhaberinnen





Polizist im Frühling

Morgens
trat mir die Sonne
entgegen. Ich bin schon
mit ganz andern Leuten
fertig geworden. Mein Gummiknüppel
wuchs mir aus der Hand,
ich hatte
zu tun, hatte
Arbeit
nach langer Zeit -
leider nicht viel, aber der Mensch
freut sich.

Fuchs, Günter Bruno (1928 - 1977)





Ungedicht

Was du nicht denkst
bleibt ungedacht
Was du nicht tust
bleibt ungetan
Steh auf und handle
denn sonst fängst
du ganz und gar mit
'unge' an:

Sieh deine Haare:
ungekämmt
Sieh deine Nase
ungeputzt
Sieh deine Trägheit:
ungehemmt
Sieh deine Chancen:
ungenutzt
Sieh deine Treppe:
ungefegt
Sieh deine Kinder:
ungewollt
Sieh deine Eier:
ungelegt Sieh deine Rubel:
ungerollt
Sieh deine Muskeln:
ungestählt
Sieh deine Fäuste:
ungeballt
Sieh deine Ängste:
ungezählt
Sieh deine Zukunft:
ungestalt
Sieh deine Tränen:
ungeweint
Sieh deine Glieder:
ungeschlacht

Sieh deine Worte:
ungereimt
Sieh deine Taten:
unbedacht.

Gernhardt, Robert (1937 - 2006)





Die Lust kommt

Als dann die Lust kam, war ich nicht bereit.
Sie kam zu früh, zu spät, kam einfach nicht gelegen.
Ich hatte grad zu tun, deswegen
war ich, als da die Lust kam, nicht bereit.

Die Lust kam unerwartet. Ich war nicht bereit.
Sie kam so kraß, so unbedingt, so eilig.
Ich war ihr nicht, nicht meine Ruhe, heilig.
Da kam die Lust, und ich war nicht bereit.

Die Lust war da, doch ich war nicht bereit.
Sie stand im Raum. Ich ließ sie darin stehen.
Sie seufzte auf und wandte sich zum Gehen.
Noch als sie wegging, tat es mir kaum leid.
Erst als sie wegblieb, blieb mir für sie Zeit.

Gernhardt, Robert (1937 - 2006)





Immer

Immer einer behender als du

Du kriechst
Er geht
Du gehst
Er läuft
Du läufst
er fliegt:

Einer immer noch behender.

Immer einer begabter als du

Du liest
Er lernt
Du lernst
Er forscht
Du forschst
Er findet:

Einer immer noch begabter.

Immer einer berühmter als du

Du stehst in der Zeitung
Er steht im Lexikon
Du stehst im Lexikon
Er steht in den Annalen
Du stehst in den Annalen
Er steht auf dem Sockel:

Einer immer noch berühmter.

Immer einer betuchter als du

Du wirst besprochen
Er wird gelesen
Du wirst gelesen
Er wird verschlungen
Du wirst geschätzt
Er wird gekauft:

Einer immer noch betuchter.

Immer einer beliebter als du

Du wirst gelobt
Er wird geliebt
Du wirst geehrt
Er wird verehrt
Dir liegt man zu Füßen
Ihn trägt man auf Händen:

Einer immer noch beliebter.

Immer einer besser als du

Du kränkelst
Er liegt danieder
Du stirbst
Er verscheidet
Du bist gerichtet
Er ist gerettet:

Einer immer noch besser

Immer
Immer
Immer.

Gernhardt, Robert (1937 - 2006)





Ganz geheim auf leisen Sohlen
Schleicht Herr Goethe ganz verstohlen
Eines nachts in Schillers Kammer
Was er da sieht, das ist der Hammer!

Auf Herrn Schillers Küchentisch
Liegt - die Tinte noch ganz frisch -
Des Dichterfürsten neustes Skript.
Der Goethe liest´s und weil es gut ist kippt

Er ein Fässchen Tinte über die Papiere
Unlesbar war´s nur noch Geschmiere.
Er schleicht sich händereibend aus der Kammer.
Groß war später Schillers Jammer.

Dem Goethe war die Eifersucht gelindert
Weil dem Schiller er ein tolles Drama hatt´ verhindert.

Felix Quadflieg





Emporgekommener Arbeiterdichter

Jener weithin bekannte H. P. Richter,
Seit Anfang Sozialist und Arbeiterdichter,
Ist inzwischen, wie man hörte, arriviert,
Hat sich am Starnberger See etabliert
Und trägt eine - was er früher nie hatte -
Zwar ebenfalls rote, doch seidene Krawatte,
Kurz, er, der vordem so viel schlichter,
Ist jetzt zumindest Vorarbeiterdichter.

Kühner, Otto Heinrich (1921 - 1996)





Der Löwe im Savannengras
weit alle Viere von sich streckt.
Was war das für ein guter Mittagsfraß.
Die Pfoten werden nochmal abgeleckt.
"Das Leben" ‚ so denkt dieser Leu, "ist toll.
Man döst im Schatten vor sich hin,
der Bauch ist bis zum Platzen voll.
Ach, wie glücklich ich doch bin!
Ich, der König, unbesiegbar.
Leu zu sein ist ein Geschenk
kannt nie im Leben mal Gefahr,
höchstens mal ein Kleins Gezänk,
wies unter Löwen üblich ist."
Zufrieden brüllt das gelbe Tier, weiß nichts von Tücke und von List.
Doch beides ist jetzt nah, ist hier:
Auf einmal kracht es, es macht "Peng".
Der Großwildjäger hat geschossen.
Im Maule schmeckt ´s dem Leu jetzt streng.
Blut kommt ihm da herausgeflossen.
Es jubelte der Großwildjägerkorps
"Getroffen, Bravo, Meisterschuß"
Et voilà le roi est mort.
Auf dem Leu des Jägers Fuß.

Felix Quadflieg





Die Motte hatte großen Kummer
Seit Tagen war sie schon ganz matt.
Sie fiel in einen tiefen Schlummer
Vor Sorgen, die wohl jeder einmal hat.
Das Leben wurde ihr zu Last
Seitdem sie ganz alleine war.
Zuerst flog sie fast ohne Rast
Machte halt in jeder Bar.
Betrank sich bis zum Rande voll
Fand kaum nach Hause mehr die Strecke.
Geschwächt vom vielen Alkohol
Von Tränen schwangre Augensäcke.
Sie wurd´ des Lebens überdrüssig
Immer nur allein zu sein
Fühlt sie sich ganz überflüssig
Lieber wäre sie zu zwein.
Und in ihrem großen Gram
Bemerkte sie´s nicht gleich
Aufgeregt und rot vor Scham
Flog auf sie zu ein Mottenscheich.
Er fragte, ob sie ihn begleite
Na klar, sie fackelte nicht lang
Ihm, der sie aus der Depression befreite
Folgte sie mit Überschwang.
Und blind, wie Liebe nun mal macht,
Flogen sie zur Quell des Lichts.
Da hat es nur kurz "Knacks" gemacht.
Zwei Mottenleichen gingen ein ins Nichts.

Felix Quadflieg





Ein Schnabeltier erhebt sich gähnend
- sich in Australien noch wähnend -
Aus einem langen, tiefen Traum. Noch nicht ganz wach - es glaubt es kaum - sieht es sich eingeschlossen in ner Kiste
Und es denkt sich: "Na jetzt biste
Wohl nicht mehr ganz bei Trost."
Es reibt die Augen sich erbost
Und merkt, es ist wohl eingeschlossen.
Ach, wie da die Tränen flossen
In des Schnabeltieres Fell.
Mal nicht auf der Hut, und schnell
Ists mit der Schnäbelei
Vorbei!
In einer Kiste jetzt gefangen
Wirds in nen Zoo alsbald gelangen.
Begafft, bestaunt bewundert
- Besucher kommen an die hundert - schnäbelts jetzt bei Hagenbeck
Im künstlich angehäuften Dreck.

Felix Quadflieg





Ein Walroß wälzt im tiefen Meer
zwei Probleme hin und her.
Seit gestern war ihm nicht ganz klar
wo es hergekommen war:
Warum es den Namen Walroß trage
ward zur bohrend quälend Frage
Für das dicke Meerestier.
Warum Walroß und nicht - Stier?
Wer gibt den Namen allen Dingen
Wer läßt die Stimme so erklingen,
daß alles, was da säugt und schwimmt
durch Worte wurde einst bestimmt
zu sein gefälligst, wie benannt
als solch eins also jetzt bekannt
muss leben unter diesem Zeichen
ein jedes, bis es muß verbleichen.
Das andere Problem des Viehs
auf das es gestern Abend stieß
war eng verknüpft mit erster Frage
und entsprang aus seiner Lage
zu ziehen seine Lebensbahn
am Strand nur und im Ozean.
Warum kann ein Walroß bloß
nicht fliegen, wie ein Albatros? Das arme Tier, zu sich gekommen
plötzlich wurd es ihm beklommen
in seiner dicken, trägen Haut.
Und wie es da so um sich schaut
fliessen Tränen in das Meer.
Das Walroß weint, es kann nicht mehr
nur einfach Walroß sein und froh.
Von Stund an ist es nicht mehr so,
wies früher war,
als noch nicht klar,
dass Unschuld nur zu haben ist,
wenn man immer nur - vergißt.

Felix Quadflieg





Die Sardine

Im Mai zu einer späten Stunde
dreht die Sardine ihre Runde.
Im Korallenriff vor Sansibar
wurde ihr ganz plötzlich klar,
nachdem im Abseits sie entleert den Darm
hatt sie verloren ihren Schwarm.
Der war schon über alle Riffe;
ihr war, als ob da jemand pfiffe.
Sie dreht sich um, der Schreck, der fährt ihr in die Flossen
Kugeln pfeifen, es wird scharf geschossen!
Sie schwimmt um Deckung zu erlangen
- da hilft kein hoffen nicht, kein bangen - Tief ins Korallenriff hinein.
Sie weiß, sie ist jetzt ganz allein.
Kaum scheint sie der Gefahr entschwommen
wird ihr ganz schwach. Und benommen
torkelt der Sardinenfisch
- Es ist wohl unabänderlich - direkt hinein in Fischers Falle.
Und da zappeln sie schon alle:
Brüder, Schwestern, Base, Vetter,
Keiner ist dem Andern Retter.
Hinaus gehts aus dem nassen Elemente
wir alle ahnen schon das Ende.
Eingebüchst, gequetscht und im Verein
Da paßt kein Schüppchen mehr hinein
liegt nun in Öl die ganze Sippe
mit Haut, Gedärm und mit Gerippe.

Felix Quadflieg





Der Gummibär

Neugierig rennt der Gummibär
einem Eichhorn hinterher.
Das Eichhorn zittert, bibbert, jammert
der Gummibär hat es umklammert.
Er knutscht das Eichhorn heftig ab,
demselben wird die Luft schon knapp.
Das Eichhorn jetzt gar nur noch keucht
dem Gummibär nichts arges deucht.
Er hält das Eichhorn fest umschlungen
zum Leid von dessen beiden Lungen.
Und da: das Eichhorn lebt nicht mehr
Da trauerte der Gummibär.
Der trottet jetzt alleine fort,
das Eichhorn bleibt an diesem Ort.

Felix Quadflieg